Zurück
Zurück
 
  "Tom Waits - Getanzte Songs"
 
Premiere am 21. Februar 2009
   
    Choreographie und Inszenierung: Lode Devos
    Bühne und Kostüme: Christiane Devos


 

Nach dem großen Erfolg des "Jacques Brel-Abends" in der letzten Spielzeit widmet das Ballett Chemnitz  erneut einem großen Songwriter eine Choreografie: Tom Waits.

"Martha", "Misery is the river of the world"oder "Time"- diese und andere Titel sind für Lode Devos der Ausgangspunkt seiner aktuellen Recherche: In Verbindung von Choreograpfie, Musik und Raum versucht dieser Tanzabend, die besondere Faszination, die von Tom Waits und seinen Songs ausgeht, auf die Bühne des Schauspielhauses zu bringen.

Text - Theater Chemnitz !!!

 

Von den atmosphärischen Songs aus den Anfängen bis hin zu den engagierten Titeln neuerer Zeit spannt sich der Bogen zu einem Abend über das Leben, wie Tom Waits es sieht.

Text - Theater Chemnitz !!!

 
 
Die Premiere tanzten:
 
.
 
Jonathan Augéreau
 
Clément Bugnon
 
Maraya Bushuyeva
 
Ramona Capraro
 
Jonathan Aurélien Bruno Cadic
 
Elisenda Cladellas Parellada
 
Alisha Coon
 
Simone Elisabeth Elliot
 
Caroline Fabre
 
Yuya Fujinami
 
Laure-Emmanuelle Le Garrec
 
Dimitri Genco
 
Anna Süheyla Harms
 
Anne-Frédérique Hoingne
 
Leslie Humbert
 
Solène Nusbaum
 
Jeronimo Romero Gonzalez
 
Felipe Rocha
 
Bert Uyttenhove
 
David Valencia
 
Danny Whiley
 
 

KRITIK:

Getrieben vom Leben an sich tanzt sich das Gefühl frei
Dieser Abend geht unter die Haut: Lode Devos choreografiert "Tom Waits - Getanzte Songs" - Chemnitzer feiern Premiere im Schauspielhaus

Chemnitz. Es geht - dies ist keine Übertreibung - an diesem Abend um das Leben an sich. Genauso eiskalt und brutal wie lustvoll sinnlich und verträumt offenbaren sich authentische Facetten des von Wallungen gebeutelten Daseins. Dies ist kreativ verarbeitete und auf eine Alltagsformel reduzierte Existenzphilosophie, wie sie Tom Waits in seinen Songs eindringlich, häufig düster auf den Punkt bringt und mit einer Stimme singt, die tatsächlich unter die Haut geht, und wie sie Lode Devos auf eine ebenso unterhaltsame wie spannende Weise tänzerisch in Szene setzt. Bei der Premiere seiner neuen Choreografie "Tom Waits - Getanzte Songs" am Samstagabend im Schauspielhaus hat das Chemnitzer Publikum diese 70-minütige Verdichtung an ausgelebten Emotionen mit viel Beifall minutenlang gefeiert.

Bei insgesamt 18 Liedern mit extrem unterschiedlichen Geschichten und Betrachtungen darf man eigentlich einen dramaturgisch roten Faden nicht erwarten. Und doch hat Lode Devos einen gefunden. Das kompromisslose Ausleben von Lust und Leid, von Ängsten und Sehnsüchten ist allgegenwärtig und schafft auf diese Weise höchst subtile Bezugspunkte zwischen den getanzten Songs. Anders ausgedrückt: Dem Zuschauer drängt sich das Gefühl auf, dass es sich hier um eine Art von geschlossenem System handelt, in dem Menschen eine Vielzahl an Konflikten mit sich selbst und mit anderen austragen wollen.

Das von Christiane Devos entworfene Bühnenbild verstärkt diesen Eindruck noch. In der ersten Hälfte erinnert es mehr an ein Rondell in einem drittklassigen Zirkus oder Varieté, während nach der Pause der Charakter eines heruntergekommenen Hinterhofes oder eines verlassenen Fabrikgeländes die Stimmung prägt. Mit wenigen prägnanten Elementen hat Christiane Devos es geschafft, ein für die Songs von Tom Waits treffendes Ambiente zu schaffen: Es ist eine Zufluchtsstätte für Typen, die nicht zuletzt an ihren Illusionen gescheitert sind; dies aber nicht wirklich wahrhaben wollen. Wie gesagt: So ist das Leben.

Der Ballettchef hat seinen Tänzern dieses unterhaltsame Wandeln zwischen großen Gefühlen und einer von Lebenslust und -leid getriebenen Ausgelassenheit quasi auf den Leib choreografiert. Mal ist es Tanz, dann wieder Theater, mal ist es mehr slapstickhafte Verballhornung, dann wieder doch eher Gymnastik. Das Körpervokabular ist genauso klassisch wie modern, genauso selbstverliebt und introvertiert wie auf die Wirkung des Bildes bedacht. Und überhaupt: Vollends begeistert die Choreografie, wenn es flott wird und der Rhythmus alles erfasst, was sich auf der Bühne bewegt. Wenn die Gemeinschaft zu sich selbst findet und tanzt, als würde es ums Überleben gehen; wie eben Tom Waits singt.

Hier hat die Company wieder zu sich selbst gefunden. Die Tänzerinnen und Tänzer sind in ihrem Element, sie glänzen technisch brillant, sie genießen dieses Wirbeln in einer Vision vom Leben. Sie haben Spaß, sie dürfen traurig sein, sie wollen lieben, sie müssen leiden. Und der Zuschauer fiebert mit; das ist auch keine Übertreibung.

Reinhard Oldeweme, Freie Presse, 23.02.2009

___________________________________________________________

Viel Jubel, viele Rätsel bei ,Waits - Getanzte Songs'

Schnobern und fingern im Schauspielhaus

CHEMNITZ-Da schnobert er an ihr näslings von der Zehenspitze bis unter die Achsel - was für ein Liebesbeweis! - und wird weggeschubst: Eines der hübschen, auch kuscheligen Details, das aus der lange bejubelten Premiere "WaIts-Getanzte Songs" am Sonnabend Im Schauspielhaus möglicherweise ein Weilchen in Erinnerung bleibt.

Erfreulich, diese Bravos für das leidenschaftlich agierende Ensemble. Umso mehr, weil die Choreografie von Lode Devos Wünsche offen-, zumindest Ergreifendes vermissen lässt. Dabei krächzt Tom Waits nicht übel mit alkoholgebeizten Stimmbändern aus wirklich lauten Lautsprechern 18 seiner harten Lieder (Erklärungen im Programmheft).

Die Bühne ist ein großes Rätsel: unnützer Krempel, Blechspinde, Latschen, Zirkuslichterkette, obligatorisches "Route 66"-Schild - stört alles nicht weiter. Die Tanzszenen - ein ebenso verrätseltes, zuweilen epileptisches, sich scheinbar wiederholendes Nummernprogramm. Waits sei Dank macht das Ensemble meist das Beste draus, bemerkenswerte akrobatische Momente wie einige Soli (Buschujewa, Hoingne, Rocha) sorgen für Freude. Doch auch ansehnlich lang gestrecktes Zeigefingern reicht nicht, Zugang zur morbidsensiblen, verweigernden, verlassenen Scheiß-egal"-Stimmung des nun fast 60-jährigen Waits zuerkennen. Immerhin: Ein Mann mit Hut und Zigarette steht, schleicht, hockt manchmal herum. Und immer wälzen sich Frauen und Männer. Wenigstens diese Bewegungsformen dürften Tom Waits in seinen feuchtesten Jahren vertraut gewesen sein. Als roter Faden wäre das aber dünn. Dann stehen da 16 Stühle im Halbkreis, man zuckt rhythmisch darauf herum, und etliche Leute könnten diese Sequenz so ähnlich vielleicht doch schon mal auf YouTube in einer zehn Jahre alten Choreografle vom Nederlands Dans Theater gesehen haben. Rätsel über Rätsel.

Ch. Hamann-Pönisch, Morgenpost, 23.02.2009

___________________________________________________________

Tanz den Waits

Erfolg ohne Wenn und Aber, der neue Ballettabend in Chemnitz

Ein starker Abend mit den starken Frauen und Männern der internationalen Chemnitzer Compagnie. Wer bin ich, wo bin ich, was mache ich hier und wer bist Du und was ist da zwischen uns? Wie Lieder eines einsamen Wanderers durch nächtliche Straßen, Bars, Kneipen, Pubs und Parks klingen die Songs von Tom Waits, dem Sänger der amerikanischen Seele, dessen Musik man zu hören meint, wenn man Bilder der amerikanischen Seele von Edward Hopper ansieht, bzw. sich diese bei seiner Musik unwillkürlich ins Gedächtnis schieben. Als Waits 1973 sein erstes Album veröffentlichte, war Hopper schon sechs Jahre tot. Meint man seine Musik jetzt in dessen Räumen zu vernehmen, dann beginnen sich die Menschen zu bewegen, sie kreisen, sie kommen zueinander, finden und verlieren sich, sie mögen auch stürzen, wieder aufstehen und letztlich doch versinken im schönen Schmerz der Melancholie, der Bildern und Musik eigen ist.

Zwei mal neun Songs von Tom Waits, mal aggressiver, mal zärtlicher, mal aufbegehrend und dann wieder besänftigend, immer aber rau und widerborstig, mal im typisch klopfenden Rhythmus einer Polka, dann breit ausladend oder auch gänzlich schmerzerfüllt im Aufstand gegen Unabänderlichkeiten, voller Gefühl, sentimental nie, geben die Musik für den neuen Chemnitzer Ballettabend, den das Publikum im ausverkauften Schauspielhaus zur Premiere begeistert feiert. „Waits – getanzte Songs“ tanzen zehn Frauen und elf Männer bei nie nachlassender Energie von Beginn an so intensiv, dass der Funke sofort überspringt und noch längst nicht verloschen ist, wenn wir das Theater verlassen. Zu existenziell haben die Tänzerinnen und Tänzer in den Choreografien von Lode Devos miteinander gerungen wie im ersten Duett zweier hochexplosiver Männer, in einer Art Kampf mit ihrem Gegenüber, das gar nicht dem Bild entsprechen will, das sie sich von sich machen. Männer oder Frauen, allein oder miteinander, zärtlich in der Umarmung dann wieder abgestoßen, verwirrt im Gegeneinander. Ob in den perfekten Elementen der Show mit Widerhaken und unverhofften Untiefen oder bei so raffinierten wie frappierenden Hebungen und Sprungkombinationen, ob ironisch oder romantisch, im freien Fall oder im übermütigen Aufstieg leicht gebogener Körper im Sprung, immer begegnen wir jenen Drauf- und Druntergängern, die im Moment der absoluten Inspiration alles auf eine Karte setzen.

Der zweite Teil unterm gestürzten Kreuz (Ausstattung: Christiane Devos), der aus Elementen einer Bar, einer Theatergarderobe und Bühne besteht, aber auch an ein einfaches Motel erinnert oder an einen Schuhshop mit deutlichem Augenzwinkern für den Schuh- und Autofetischisten Waits, beginnt mit ekstatischen Varianten der Einsamkeit. Selten macht eine Ansammlung von Stühlen so viel Sinn wie hier, wenn so viele Menschen ihren Platz suchen und oft genug zwischen allen Stühlen landen. Das mag mitunter sehr hart sein, der Choreograf findet aber für jeden seiner Tänzerinnen und Tänzer immer wieder ganz lichte und unbeschwerte Momente, stellt damit jeweils die Individualität des oder der Einzelnen ausgesprochen liebevoll ins Rampenlicht.

Der Abend hat, ganz themengemäß, harte Brüche und scharfe Kanten und im Kontrast dazu viel fließende Eleganz. Weit weg fliegen die Arme, um immer wieder zurückgeführt zu werden, um sich wie ein Schutz um den eigenen Körper zu schmiegen. Das Programmheft nennt alle Namen im Block, persönliche Zuordnungen zu den ausnahmslos tollen solistischen Leistungen sind offenbar nicht gewollt, bei diesem starken Abend mit den starken Frauen und Männern der internationalen Chemnitzer Compagnie. Einsame aller Länder, tanzt zusammen.

Boris Michael Gruhl, Dresdner Neueste Nachrichten, 23.02.2009

___________________________________________________________

Im Rausch der Musik
Nach Brel nun Waits im Schauspielhaus

Melancholie macht sich breit Menschen besaufen sich mit schweren Gedanken. Sie können nicht anders: Sie müssen es rauslassen. Immer wieder scheitern sie an der Liebe, an ihren Träumen, an ihren Obsessionen. Sie tanzen, sie taumeln - sie begeistern. Denn sie haben den Charme literarischer Figuren. Tom Waits hat ihnen eine Seele gegeben, seine Songs liefern den bitter-süßen Geschmack für einen Tanzabend der Entdeckungen. Dazu pendelt Lode Devos die Depressionen der Gesellschaft spannend aus. Er schickt seine Company in den Zirkus der Nacht und enthüllt herzergreifende Szenen neben menschlichen Abgründen. Für diese eindringlichen Bilder lässt er allerdings auch hart arbeiten. Keine Bewegung ist klein und zart. Jeder Schritt, jeder Sprung hat eine unbändige Kraft. Mal scheppern die Lieder für glücklose Kämpfer, mal klingen die Töne für einsame Herzen. Und all das deuten die Tänzer so eindringlich aus, dass nicht eine Minute langweilig wird. Dazwischen erscheint immer wieder eine skeptische Gestalt, als schaue Tom Waits da von außen drauf, zuweilen auch von innen, wenn er sich unter seinesgleichen mischt. Inzwischen geraten die Stücke mal kantig, mal expressiv, mal launisch, mal schmerzhaft, mal lieblich, mal traurig. Der Ballettchef geht durchaus verschwenderisch mit den Mitteln der Bewegung um, ist stilistisch vielfältig und schafft es mit seinen Tänzern fast spielerisch, das Publikum zu faszinieren.

Jenny Zichner, Stadtstreicher, 03.2009

___________________________________________________________

Pirouetten mit Whiskyglas
Lode Devos choreografiert die Songs von Tom Waits

Nach dem großen Erfolg des Jacques Brel-Abends in der vergangenen Saison widmete sich der Choreograf des Chemnitzer Balletts Lode Devos auch diesmal einem modernen Songwriter. Die kantigen Songs von Tom Waits sollten im Mittelpunkt stehen und wurden von dem atmosphärischen Bühnenbild und einer frischen Company voller junger Tänzer unerwartet überzeugend in Szene gesetzt.
Mein Kollege Boris Michael Gruhl hatte auf klassik.com die Musik, Bühne und Choreografie treffend mit der Malerei von Edward Hopper verglichen. Vielleicht wäre ein anderer Vergleich sogar noch etwas passender. Hopper hatte in seinen Bildern ja eine Atmosphäre der "Solitude" evoziert, die noch an ein America glaubte und die Großstadt stark romantisierte. Keiner hatte besser als Frank Sinatra in "The Whee Small Hours" den passenden Ton zu diesen melancholischen Nachtszenarios gefunden. Auch Woody Allen liebte Edward Hopper. Tom Waits ist eine Generation nach Sinatra und Allen, aber auch ein Zeitgenosse von Raymond Pettibon und seine Musik sicher ein gutes Pendant zu der verstörenden Pop-Art des New Yorker Künstlers.
Waits hat später auch für Jim Jarmusch Musik geschrieben und kongenial in "Down by Law" mit ihm kollaboriert. Hätte Fellini nicht mit Nino Rota einen einmaligen Haus- und Hofkomponisten besessen, hätte man sich wohl auch keine bessere Musik als die Tom Waits' für die Filme des Italieners denken können. So hat Lode Devos im ersten Akt seines Tanzstücks ein Szenario entworfen, dass Erinnerungen an "Die Clowns", "Amarcord" und die bizarre Zirkus-Welt in Fellinis Kino weckt. Tom Waits ist wahrlich der Pierrot Lunaire des 21. Jahrhunderts, wie ihn Fellini erdachte. Seine Songs sind die einsamen Lieder aller Straßenmusik und Barpianisten dieser Welt.
Devos hat diese Atmosphäre in seinen "getanzten Songs" wunderbar eingefangen. Die existenzialistische Botschaft, die den insgesamt 18 Liedern des Kaliforniers inne wohnt, wird in der Choreografie ein ums andere Mal durch ein gestisches Pathos bereichert. Devos' Company präsentiert ein breites Spektrum des tänzerischen Ausdrucks - experimentelle, lyrische, narrative oder erotische Momente sind ebenso Bestandteil der Choreografie wie eine sinnliche Pantomime und laszive Blickkontakte. Besonders die bezaubernde Alisha Coon fasziniert durch ihren charismatischen Auftritt und ein elegant bewegtes Solo. Mitunter überschreitet Devos jedoch ein wenig die Grenze zum Vulgären und spielt zu sehr mit dem Sexappeal seiner Tänzerinnen. An Quentin Tarantinos Lap Dance aus "Death Proof" wollte er sicher nicht erinnern, doch kombiniert mit der Musik von Tom Waits drängt sich dieser Eindruck leider unverzüglich auf.
Am besten funktioniert "Waits", wenn die Choreografie völlig aus den Bahnen gerät, frei improvisiert oder mit einem Augenzwinkern die Lyrics des Songwriters kommentiert. Wenn Devos hingegen Schritte des klassischen Balletts zitiert, spürt man sofort die unüberwindliche Diskrepanz zwischen zwei Kunstsphären, die doch so grundsätzlich anderen kulturellen Traditionen entspringen. Der Blues, Bukowski und die Bars der amerikanischen Metropolen sind eben eher Bärentänze als den Schwanensee gewohnt.
Die zur Schau gestellte Virtuosität und technische Perfektion, zu der das Chemnitzer Ensemble unter Devos in den letzten Jahren zu jeder Zeit fähig war, hätte bei "Waits" deswegen diesmal durchaus auch vermieden werden können. Dennoch hat Devos einmal mehr das Unmögliche möglich gemacht und tatsächlich ein 'Tom Waits-Ballett' geschrieben. Man kann schon auf seinen Geniestreich für 2010 gespannt sein.

Toni Hildebrandt, www.klassik.com, 15.03.2009

___________________________________________________________

Einsame aller Länder vereinigt euch und tanzt!
"Waits - getanzte Songs" von Lode Devos

Zwei mal neun Songs von Tom Waits, mal aggressiver, mal zärtlicher, mal aufbegehrend und dann wieder besänftigend, immer aber rau und widerborstig, mal im typisch klopfenden Rhythmus einer Polka, dann breit ausladend oder auch gänzlich schmerzerfüllt im Aufstand gegen Unabänderlichkeiten, voller Gefühl, sentimental nie, geben die Musik für den neuen Chemnitzer Ballettabend, den das Publikum im ausverkauften Schauspielhaus zur Premiere begeistert feiert. "Waits - getanzte Songs", tanzen zehn Frauen und elf Männer bei nie nachlassender Energie von Beginn an so intensiv, dass der Funke sofort überspringt und noch längst nicht verloschen ist, wenn wir das Theater verlassen. Zu existenziell haben die Tänzerinnen und Tänzer in den Choreografien von Lode Devos miteinander gerungen wie im ersten Duett zweier hochexplosiver Männer, in einer Art Kampf mit ihrem Gegenüber, das gar nicht dem Bild entsprechen will, das sie sich von sich machen.

Männer oder Frauen, allein oder miteinander, zärtlich in der Umarmung dann wieder abgestoßen, verwirrt im Gegeneinander. Ob in den perfekten Elementen der Show mit Widerhaken und unverhofften Untiefen, oder bei so raffinierten wie frappierenden Hebungen und Sprungkombinationen, ob ironisch oder romantisch, im freien Fall oder im übermütigen Aufstieg leicht gebogener Körper im Sprung, immer begegnen wir jenen Drauf- und Druntergängern, die im Moment der absoluten Inspiration alles auf eine Karte setzen, ihre Möglichkeiten ausloten, sich dabei im Spiel zu verlieren drohen, wie jener Mann, der vom Schminkspiegel weg mit roter Federboa in eine andere Existenz springt und schwingt. Da ist die Frau in Rot, getrieben von innerer Unruhe, die Hände an den Körper gepresst, als wollte sie sich selbst besänftigen. Beispiele mögen für das Ganze stehen, dessen Details eigentlich alle der Erwähnung wert sind.

Der zweite Teil unterm gestürzten Kreuz in der Ausstattung von Christiane Devos, die aus Elementen einer Bar, einer Theatergarderobe und Bühne besteht, aber auch an ein einfaches Motel erinnert oder an einen Schuhshop mit deutlichem Augenzwinkern für den Schuh- und Autofetischisten Waits, beginnt mit ekstatischen Varianten der Einsamkeit. Selten macht eine Ansammlung von Stühlen so viel Sinn wie hier, wenn so viele Menschen ihren Platz suchen und oft genug zwischen allen Stühlen landen. Das mag mitunter sehr hart sein, der Choreograf findet aber für jeden seiner Tänzerinnen und Tänzer immer wieder ganz lichte und unbeschwerte Momente, stellt damit jeweils die Individualität als Maß der Würde der Einzelnen ausgesprochen liebevoll ins Rampenlicht. Der Abend hat, ganz themengemäß, harte Brüche und scharfe Kanten und im Kontrast dazu viel fließende Eleganz. Weit weg fliegen die Arme, um immer wieder zurückgeführt zu werden, um sich wie ein Schutz um den eigenen Körper zu schmiegen. Das Programmheft nennt alle 21 Namen im Block, persönliche Zuordnungen zu den ausnahmslos tollen solistischen Leistungen sind offenbar nicht gewollt bei diesem starken Abend mit den starken Frauen und Männern der Chemnitzer Kompanie, die immer bewusster ihren sehr eigenen Akzent in der Sächsischen Tanzlandschaft setzt und ähnlich wie im Musiktheater der Stadt längst über deren Grenzen hinaus wahrgenommen wird.

Boris Michael Gruhl, www.tanznetz.de, 23.02.2009

 


 

 

 

 

 

  Erstellt am 20.06.2015