Johann Wolfgang Goethe
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"Urfaust" | ||
Premiere
am 03. Oktober 2009
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Regie: Enrico Lübbe | ||
Ausstattung: Michaela Barth |
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Mit elementarer Kraft lässt Goethe im Urfaust Faust und Margarethe zusammentreffen, und in harten Schnitten werden die Stationen eines Geschehens aufgerissen, das in den Abgrund rast. Ein Höllentrip in die Seelen zweier verzweifelter Existenzen. Und dazwischen agiert Mephisto, bei dem hier viel uneindeutiger ist, wer und was diese Figur eigentlich ist ... Text - Theater Chemnitz !!! |
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Die Premiere spielten: | ||
Faust
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Michael Pempelforth |
Mephistopheles
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Dirk Lange |
Margarete
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Caroline Junghanns |
Marte
Schwertlein
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Annett Sawallisch |
Lieschen |
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Ulrike Euen |
Valentin |
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Sebastian Tessenow* |
Chor der Frauen |
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Statisterie des Schauspiel Chemnitz |
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* Studenten der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig am Studio Chemnitz |
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KRITIK: Schau-Bühne:
Spielen und Sehen Chemnitz. Gebt ihr
ein Stück, so gebt es gleich in Stücken. Goethes Rat steht
im Urfaust noch nicht drin, aber es ist eine schöne Vorstellung,
in drei Premieren ein Stück zu sehen, das kommt so nicht leicht
vor. Zwei davon sind neu, eine deutsche Erstaufführung und eine
Uraufführung. Vorspiele auf dem Theater für den Urfaust, zu
dem alles hindrängte? Reinhold Lindner, Freie Presse, 05.10.2009 ___________________________________________________________
Goethes
,Urfaust' kurz und schmerzhaft Chemnitz - Von "Glaube Liebe Hoffnung" soll die zweite Spielzeit des Chemnitzer Schauspielchefs Enrico Lübbe handeln. Wie ernst es ihm damit ist, lässt das erste Premierenwochenende ahnen. Goethes "Urfaust" hat Lübbe gleich selbst inszeniert. Kurz und schmerzhaft: Letztendlich plumpst sogar Mephisto zu Boden und guckt nach seinem einstündigen Einsatz entgeistert auf die blutglitschige Bühne: viele Tote, von Glaube, Liebe, Hoffnung keine Spur. Der Höllenchef darf fassungslos den Kopf hängen lassen. Lübbe kästelt Goethes erste Fassung (1775) der Story vom selbstzweifelnden Wissenschaftler Dr. Heinrich Faust, der eine Gretel ins Bett kriegen will und dafür selbst den Teufel am Schwanze packt (blöder Vergleich, passt hier aber), in einen großen würfelartigen Käfig ein. Beschallt sie mit dem Deep-Purple-Schreihit "Child in Time" ("Süßes Kind der Zeit, du siehst die Grenze, die gezogen wurde zwischen Gut und Böse"), spendiert Dr. Faust ein bürgerliches Pullöverchen, lässt Pistolen knallen - und konzentriert den ganzen Menschheitsjammer auf die einfache Logik: Männer wollen an Frauen ran, Frauen wollen an Schmuckschatullen ran, wenn es dazwischen klemmt, gibt's Mord und Totschlag. So muss man quälende Sekunden lang Gretchen (große Leistung: Caroline Junghanns) ins Gesicht gucken, sieht abwechselnd Glück, Freude, Leid, Pein. Die Reine, Naive, Verführte, Kindsmörderin wird leise "Hilfe" rufen und trommelfellzerstörend schreien, doch Hilfe passt nun ganz und gar nicht in diese Welt der Eitelkeiten. Faust (großartig zerrissen: Michael Pempelforth) ist ein feiger Warmduscher, Schattenboxer und Süßholzraspler, der das Unheil erst begreift, wenn er es angerichtet hat. Sein zweites Ich, Mephisto (schlitzohriges Urvieh: Dirk Lange), hat Weiber nebst Wissenschaftler im Griff, kommt aber beim bettelnden Dekolleté von Marthe (drollig rollig: Annett Sawallisch) ins Stottern. Reingungstücher aus der Nachfüllbox werden herausgezupft, zerknüllt, weggeworfen, beschnüffelt. Sie helfen offenbar nicht, wenn sich Menschen in den Dreck ziehen. Eine bestechende, bestürzende Inszenierung. Langer Beifall. Ch. Hamann-Pönisch, Chemnitzer Morgenpost, 05.10.2009 ___________________________________________________________
"So
naiv wie Gretchen kann heute kein Mädchen über acht sein"
Wir sind im "Urfaust" - also kann Heinrich und seinem Kumpanen Mephisto der liebe Gott nebst himmlischen Heerscharen schnurz sein. Auch die Sinnkrise, die den Streber und Stubenhocker Faust plagt, scheint weniger um die als leidvoll erkannten Grenzen menschlicher Erkenntnis zu kreisen als vielmehr um d a s E i n e , das Männer treibt, seit es Frauen gibt. Heinrich Faust hat zwar nun, ach! so manches studiert mit heißer Müh, doch eben leider auch einiges verpasst im Leben und das muss jetzt mit Teufels Hilfe geändert werden! Schon bald wird er jedoch merken, dass das leichter gesagt als getan ist. Reihenweise stehen die jungen Damen da - gänzlich nackt und aufreizend schön - aber so richtig klappen will es nicht. Eine Abfuhr folgt der nächsten, doch ausgerechnet Margarete, die Naivste, die Unbedarfteste von allen, fällt auf die plumpe Anmache (wir kennen das mit " Arm und Geleit ihr anzutragen") herein. Kein Wunder, hat sie doch ebensolchen Nachholbedarf wie Faust, was sie zwar die Frage, wie er's mit der Religion hält, geflissentlich noch schnell stellen lässt, wobei man sich aber schon immer mal die Kleider vom Leibe reißt. Was folgt, ist ein dezenter Dreier, indes wir wissen, dass das nicht gut gehen kann In einer ausgesprochen bedrückenden, emotional zunehmend aufgeladenen Atmosphäre bringt der Chemnitzer Schauspieldirektor Enrico Lübbe die Sturm und Drang-Variante des Klassikers auf die Bühne. Ganz vorn, nah an den Zuschauern dran, bewegt sich ein auf eine zweite Drehbühne aufgebautes, quadratisches Holzgestell, in dem sich wie in einem überdimensionierten Bilderrahmen (Bühne: Michaela Barth) ein ganz eigenartiges Spannungsfeld von Einsamkeit und Lust entfaltet. In raschem Zuge wird darin die Geschichte zur unausweichlichen Katastrophe getrieben. Eine Bewegung der Drehbühne, ein veränderter Lichteffekt und schon sind wir in einer neuen Szene und über allem schwebt, quasi als Menetekel, ein Klanggebilde aus Deep Purples "Child In Time" (musikalische Bearbeitung: Sebastian Tessenow). Die Hauptakteure Michael Pempelforth (Faust), Dirk Lange (Mephistopheles) und Caroline Junghanns (Margarete) zeigen auf beeindruckende Weise, wie das, was ihre Figuren umtreibt, diese selbst zu Getriebenen werden lässt, wie aus Begehren zunehmend Begierde, die in den gegebenen Verhältnissen unweigerlich ins Desaster führen muss, erwächst. Ein älteres Paar verließ schon nach kurzer Zeit den Saal, alle anderen Premierenzuschauer spendeten nach etwas mehr als sechzig Minuten einer radikal verdichteten, recht modern daherkommenden Inszenierung lebhaften Beifall.
Deep Purple - CHILD IN TIME Süßes
Kind Rolf-Dieter Stark, Theaternarr.de, 05.10.2009 ___________________________________________________________
Junger
Mann sucht Mädchen fürs Bett Auch wenn Chemnitz nicht gleich um die Ecke liegt - in Sachen Kultur ist die sächsische Stadt eine Adresse. Die Kunstsammlungen machen regelmäßig von sich reden, die Bühnen halten sich tapfer. Und jüngst, zum Spielzeitbeginn am Wochenende, hat Enrico Lübbe mit seiner furiosen Inszenierung von Goethes "Urfaust" einmal mehr gezeigt, was er kann - wie zuvor schon am Neuen Theater in Halle. Abend
entschädigt für Nachmittag ...... Ganz
anders im Falle des knackig kurzen, dicht inszenierten und hochemotionalen
Hauptwerks des Abends, Lübbes "Urfaust" eben. Schon der
Blick auf die halbdunkle, offene Bühne signalisiert Erleichterung:
Jetzt wird Theater gespielt werden! Ein riesiger Kubus steht da, in
schräger Perspektive dem Betrachter zugewandt, später ein
rotierender Käfig, in dem die Akteure als Gefangene ihrer selbst
und des Zeitgeists auftreten und folgerichtig scheitern. Andreas Montag, mz-web.de, 06.10.2009 ___________________________________________________________
Gemischte
Gefühle Die Bühne dreht sich wieder in Chemnitz und mit ihr auch Faust. Sein Kosmos ist eng, gleicht einem Käfig, einem Kerker. Seine Gedanken kreisen um den unklaren Seelenschmerz. Doch langsam wird der Horizont weiter: Die Geister wecken seine Wolllust, und Gretchen wird ihm schließlich zur Wonne. Bis zum bitteren Ende braucht Regisseur Enrico Lübbe am Sonnabendabend gerade mal eine Stunde - und das Publikum jubelt. Der Spielzeitauftakt auf der großen Bühne ist eine ebenso fesselnde wie betörende Inszenierung mit einem spannenden Perspektivwechsel. Denn die Chemnitzer Fassung macht aus dem Faust-Fragment ein Gretchen-Fragment. Gretchen liegt zu Anfang blutverschmiert auf der Bühne, Deep Purples "Child In Time" begleitet sie - der Rest ist Rückblick, sind Schlaglichter einer unheilvollen Begegnung. Caroline Junghanns und Michael Pempelforth zeigen deshalb auch vielmehr die Gemütszustände ihrer Figuren als handfeste Charaktere. So sehen wir den verzweifelten Faust mit bebender Zurückhaltung und einem Schuss Selbstironie, den Begehrenden mit wilder Eile, den Erkennenden mit großer Hilflosigkeit. Und Gretchen zittert, fiebert, schreit vor Glück, bevor sie mit scheuem Blick und fester Stimme die Haltung bewahrt, um letztlich kraftlos aufzugeben. Dazwischen immer wieder der aalglatte Mephisto von Dirk Lange, der leise und bedacht zum Alter Ego von Faust wird. Der Teufel steckt in jedem. Oder im Detail? Jedenfalls lassen beide die Hüllen fallen im Spiel mit dem unerfahrenen Weib. Ein starkes Bild. Eines von vielen in dieser Inszenierung, für die Enrico Lübbe seine gewohnt stringente Erzählweise noch forcierte. Jenny Zichner, Sächsische Zeitung, 07.10.2009 ___________________________________________________________
Sprachgestörtes Mittelmaß Diesmal enttäuschte Enrico Lübbe auf der ganzen Linie. Was ihm bei der "Antigone" des Sophokles so überaus guckte, misslang in seiner Version des "Urfaust". In der ,,Antigone" befragte Lübbe den antiken Stoff aktuell, erfasste die dort verhandelten Konflikte als heutige, erzeugte mittels bedacht gesetzter Zäsuren Spannung. All das vermisste ich bei seiner jüngsten Regiearbeit (in der beiläufigen Ausstattung Michaela Barths) gar zu schmerzlich. Lübbe sieht den Faust generell als Verzweifelten. Woher diese Verzweiflung rührt, interessiert weniger. Deshalb wird der Eingangsmonolog bewusst derart mit Musik zugedröhnt, dass kaum ein Wort davon zu verstehen ist. Faust - ein Versager, der Befriedigung im billigen Sex erhaschen möchte. Doch auch hierbei scheitert er an einer Reihe zunächst splitterfasernackt, hernach bekleidet auftretender Damen, wobei das endlos zelebrierte Bäumchen-wechsle-dich-Spiel beträchtlich nervt. Dieser Mann nimmt mit der Erstbesten vorlieb. Und Gretchen (partiell berührend Caroline Junghanns)? Indem die Fassung die Szene in Auerbachs Keller streicht und mithin das spießige Milieu ausspart, dem das Mädchen entstammt und von dem es ständig umgeben ist, eliminiert sie die inneren Beweggründe, die dazu führen, dass Margarete einem aus solchem Mief herausragenden Faust verfällt; bei dem allerdings in der Michael Pempelforth vorgegebenen Sichtweise weder vom "hohen Gang" noch von "edler Gestalt', geschweige denn von einer intellektuellen Überlegenheit die Rede sein kann. Dass hier zwei Menschen einander begegnen, von denen jeder im anderen das Außergewöhnliche erspürt und sich Außergewöhnliche erspürt und sich dieser These partout ein Beischlaf bemüht werden? Auch die Schlussszene deutet auf den nicht von der Hand zu weisenden Gedanken der zwei Personen in einer hin: Mephisto erschießt Faust und damit sich selbst. Weil er alles erreicht hat, was er wollte? Gibt sich das Böse so simpel zufrieden? Wieder einmal vertraut Lübbe reichlich vorgenommenen Zäsuren, möchte wahrscheinlich eine gewisse Sprachlosigkeit der Figuren verdeutlichen; nur mutet dies oftmals an, als wären die Darsteller ihres ohnehin oft recht schludrig vorgetragenen Textes nicht sicher. Sprachstörungen als Synonym für geistiges Mittelmaß - da bleibt Goethe freilich weitgehend auf der Strecke. Joachim Weise, Blitz!, 15.11.2009 ___________________________________________________________
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Erstellt am 05.02.2011 | |||