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  "starting point. Carlfriedrich Claus"
   
Premiere am 09. Oktober 2005
 
 
    Regie: Thorsten Krug
    Ausstattung und Video: Alexej Paryla
     
  In Zusammenarbeit mit den Kunstsammlungen Chemnitz und dem Festival "Begegnungen"
     


   
   
Das Werk des 1998 verstorbenen Künstlers Carlfriedrich Claus lotet visuell wie akustisch die Dimensionen menschlichen Bewusstseins aus. Die Sprache ist dabei Thema wie Material seiner Kunst. Notierend, zeichnend und mithilfe eines Tonbandgerätes schuf Claus seinen ureigenen Mikrokosmos, in den einzutauchen aufregendes Selbstexperiment sein kann. Das Theater stellt dieses Experiment auf die Bühne: in einem begehbaren Raum aus Video begegnen sich Körper, Bilder und Sprache
   
Die Premiere spielten:
  Maike Jebens
  Carola Sigg
  Michael Pempelforth

KRITIK:

Das Leben als Selbstexperiment
"starting point" - ein spannendes Projekt am Chemnitzer Schauspielhaus zu Carlfriedrich Claus

Chemnitz. Ein schlichter Raum, vier (Video-) Wände- sie bilden die (Proben-)Bühne für den Lebenskampf: Karate, ein sauberer Sport, der schnelle Entscheidungen fordert und äußerlich nicht verletzt. Bilder in Zeitlupe. Dazwischen die Schauspieler Maike Jebens, Carola Sigg, Michael Pempelforth. Und das Publikum. Es ist Teil des Experiments. Premiere hätte es vorgestern Abend bei den "Begegnungen", dem Chemnitzer Kulturfestival.
Das Werk von Carlfriedrich Claus gilt gemeinhin als schwer zugänglich. Nichtsdestotrotz hat Claus die Erklärung für seine Art der Kunstproduktion in vielen, inzwischen auch zugänglichen Briefen, Tagebuchaufzeichnungen und Gesprächen selbst geliefert. Aus diesem Fundus schöpft Regisseur Torsten Krug. Und es gelingt ihm, mit seinem Projekt am Chemnitzer Schauspielhaus den zunächst verschlossen scheinenden "Experimentalraum" des Carlfriedrich Claus Stück für Stück zu öffnen.
Dreigeteilt stellt er die Persönlichkeit des Künstlers dar, angelehnt vielleicht an Ich, Es und Über-Ich, angelehnt vielleicht auch an die männlichen und weiblichen Elemente in jedem Menschen und insofern auch gewagt, aber nicht unplausibel. Wie das gesamte Stück, das den vielfältigen Claus-Interpretationen nicht noch ein kryptisches Pamphlet hinzufügt, sondern klären, erklären will: Dass die Sprachblätter des Annabergers nicht ästhetischen Regeln genügen wollen, sondern dass sich der Betrachter mit ihrem Inhalt auseinandersetzen, Position (womöglich auch Gegenposition) beziehen soll.
Und dass Claus für seine Kunst nichts weniger als sein ganzes Leben eingesetzt hat - was ihn zum großen Künstler macht und was ihn unterscheidet von vielen Epigonen, Mit-Experimentatoren und Sprachspielern. Und was seinen Preis hat: Keiner kommt hier lebend raus, hat Jim Morrison das genannt. Aber Claus hat diesen Preis gern bezahlt, er hat sich wohl als Diener, nicht als König der Welt gesehen.
Drei Seelen wohnen, ach, in seiner Brust, dargestellt von drei Spielern, die sich selten im Dialog treffen, dennoch nie aneinander vorbei- und nie aufeinander einreden, sich gleichwohl nicht begegnen wollen im Kuss oder in einer anderen Berührung - was dem sehr textilastigen (aber nicht überlasteten) Stück berührende Züge verleiht.
Es ist ein Spiel über disziplinierte Selbsterfahrung, über die Freude am Selbstexperiment - ein Spiel gegen das "wesenlose Vergehen .der Zeit", ein Spiel, das sich seiner Außergewöhnlichkeit bewusst ist und sich deshalb immer wieder zu Erklärungen genötigt sieht, die Carlfriedrich Claus als einen lebensbejahenden, "vorwärts träumenden", keineswegs introvertierten und isolierten Menschen zeigen, der nichts von "schamanistischen Ferienkursen" hielt, sich aber ernsthaft mit archaischen Techniken der Selbsterkundung beschäftigte.
Ein Spiel, das kein Spiel ist Es ist, als ob der Künstler selbst jener "neue Mensch" werden wollte, den die Utopie des Kommunismus verspricht. Leider bleiben Claus' gesellschaftsphilosophische Ansichten, bleibt sein urkommunistisches Weltbild, ohne das sein Werk kaum verständlich ist, weitgehend ausgespart - vielleicht eine Konzession an den Zeitgeist, dem man erst erklären müsste, dass Kommunismus nicht jener deformierte "real existierende Sozialismus" ist.
Dies aber bleibt der einzige Mangel eines spannenden, liebe- und kunstvoll inszenierten Spiel- und Klangprojekts (Dramaturgie: Eva Wemme) auf einer von Alexej Paryla, der auch die Videos filmte, angemessen karg ausgestatteten Bühne, die den in schlichte Kimonos gekleideten Schauspielern dennochgenügend Raum gibt. - Am Ende heben sich die Wände, die Zuschauer werden ins Leben entlassen. Ein Anfang - das Stück heißt "starting point".

Matthias Zwarg, Freie Presse, 11.10.2005

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  Erstellt am 12.10.2005