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Friedrich Schiller
  "Die Räuber "
 
Premiere am 13. Oktober 2001
     
 
Regie: Bettina Jahnke
    Bühne: Gundula Martin
     


Karl Moor findet sich sinnentleert nach Kampagnen gegen sein "schlappes Kastratenjahrhundert" und drängt zurück in die väterliche Idylle.
 
Franz (Thomas Martin), Maximilian (Klaus Schleif)
Sein jüngerer Bruder Franz Moor erreicht durch eine Intrige die Enterbung Karis, der daraufhin - ein Kumpan spielt ihm diese neue Waffe in die Hand - als Hauptmann einer Räuberbande brandschatzend durch Deutschland zieht. Dieses Instrument der Rache und der Stiftung einer gerechteren Welt verselbstständigt sich gegen die ursprünglichen Absichten, häuft unschuldige Opfer und wird für Karls auf einen unschuldigen Weltzustand gerichtetes Trachten höchst zweifelhaft.
 

Er kehrt schließlich verkleidet nach Hause zurück und befreit seinen von Franz dem Hungertod preisgegebenen Vater, der die Erkenntnis, dass sein Sohn ein Mörder ist, nicht überlebt. Franz, der die Macht übernommen hat, entzieht sich schuldbewusst einem weltlichen Richter durch Selbstmord und reißt dabei seine Welt mit sich. Karl startet einen vergeblichen Versuch, sich aus seinen schuldhaften Verstrickungen zu befreien, schwingt sich dabei zum Weltenrichter auf, tötet aus dem Treueschwur gegenüber der Bande heraus seine Geliebte Amalia und liefert sich selbst in Ausweglosigkeit dem Gesetz aus, in der Hoffnung, seinem Leben damit doch noch einen Sinn zu geben. - "Die Räuber kosteten mit Familie und Vaterland." F. Schiller

   

   

Die Premiere spielten:

Maximilian, regierender Graf von Moor

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Klaus Schleiff

Franz Moor

-

Thomas Martin

Karl Moor

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Tobias D. Weber

Amalia von Edelreich

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Gritt Galisch

Spiegelberg

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Manolo Palma

Schweizer

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Stefan Ebeling

Grimm

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Michael-Paul Milow

Razmann

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Michael Pempelforth

Schufterle

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Bernd Herold

Roller

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Jan Ole Sroka

Kosinsky

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Jan Ole Sroka

Herman, Bastard von einem Edelmann

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Stefan Schweninger

Daniel, Hausknecht des Grafen von Moor

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Frank Höhnerbach

Ein Pater

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Uwe Manske

     

KRITIK:

Rebellion der verlorenen Kinder

Viel Beifall zur Premiere von Schillers Sturm-und-Drang-Stück "Die Räuber" im Chemnitzer Schauspielhaus

Im Foyer ist eine Räuberschänke aufgebaut. Ob man allerdings mit den Namensgebern dieses provisorischen Gastraumes einen netten, gemütlichen Abend hätte, tauchten sie denn tatsächlich auf, ist fraglich. Wohl eher nicht, wenn man Schillers wilde Gesellen dann auf der Bühne erlebt, die mordend und stehlend durch die böhmischen Wälder ziehen. Zu unberechenbar und gefährlich - bei denen weiß man nicht so recht, woran man ist. Bei der jüngsten Inszenierung des Chemnitzer Schauspielhauses dagegen schon. Bettina Jahnke hat das Sturm-und-Drang-Stück, dessen Premiere am Sonnabend mit viel Beifall bedacht wurde, handwerklich solide auf die Bühne gebracht, wobei sie auf gute bis glänzende Schauspieler bauen konnte.
Die Bühne ist ein dunkles Loch. Grau-schwarze Wände im Haus des Grafen von Moor und ebenso dort, wo sich die aufmüpfige Jugend zu lümmeln pflegt. Gundula Martin stimmt mit ihrer kargen Ausstattung auf die Lesart des Dramas optisch treffend ein. Mauern, die wie ein Kerker wirken. Jeder hier ist gefangen in seiner Welt. Der Vater Maximilian von Moor in der Liebe zu seinem erstgeborenen Sohn Karl. Der Zweitgeborene Franz in seinem Frust, eben jene Liebe nie erfahren zu haben. Und die marodierende Bande in ihrer Rebellion, die sich ziellos in willkürlichen Schreckenstaten entlädt. Jeder pocht auf seine Rechte, ohne zu fragen, ob man die des anderen verletzt.
Mit den Jahren hat sich bei Franz so viel angestaut, dass er wie ein Dampfkessel unter Druck steht. Thomas Martin zeigt ihn als zynisches Monster, das noch harmlos scheint, wenn es den Vater in seinen Lobreden auf den Lieblingssohn nachäfft, das aber kalt berechnend zur Denunziation des Überbruders schreitet, um doch noch seinen Anteil an väterlicher Zuwendung zu ertrotzen. Es ist überaus spannend zu sehen, wie Thomas Martin diese gleichermaßen geschundene und doch auch abstoßende Psyche mit einer plastischen Körpersprache entblättert. Er stellt Franz nicht von vorn herein in die Ecke des Bösen, sondern lässt zudem in die Tiefe dieser zwiespältigen Figur blicken.
Auch Karl ist nicht zum bloßen Gegenbild des neidischen Bruders reduziert. Bei Tobias D. Weber ist er kein strahlender Held. Ziemlich selbstsicher, ja fast schon arrogant ist er sich seines Vorranges im Vaterhaus gewiss. So kippt nach der Verstoßung durch den Vater sein Selbstverständnis abrupt ins Gegenteil. Wut über die unverständliche Herabsetzung und Zweifel an dem schändlichen Räuberdasein werden die ständigen Begleiter.
Eine Kränkung führt zur nächsten, Rache ist ein häufig gebrauchtes Wort. Und es braucht nicht lange, um zu begreifen, dass alles auf ein verheerendes Ende hinausläuft. Halt scheint es keinen mehr zu geben. Beim Vater Maximilian (Klaus Schleift) nicht, der so leicht auf die Intrige von Franz hereinfiel und elendig zu Grunde geht, als er die Folgen erkennt. Bei den jugendlichen Rebellen um Hauptmann Karl Moor auch nicht, die aufbegehren und nicht so recht wissen wogegen oder wofür, sondern ziellos und mit Rechtfertigungen, die ihnen der Moment eingibt, nach ihren eigenen Gesetzen leben.
Ein heißer Nachmittag ist, wenn was los ist, egal was. Sie sind verlorene Kinder, und die Welt ist schlecht. Überall Korruption, Begünstigung. Doch so fern von der bürgerlichen Gesellschaft sind sie gar nicht, denn auch in der Bande geht es immer wieder um die Macht. Spiegelberg ist bei dem überzeugenden Manolo Palma ein ständig auf der Lauer liegender Widerpart Moors.
Einzig Amalia, die Schiller selbst als vernachlässigte Figur betrachtete, ist eine integre Person durch und durch. Nicht blass und schmachtend, sondern selbstbewusst und resolut lässt Gritt Galisch sie ihre Liebe zu Karl verteidigen. Mit der Reitgerte etwa, die Franz' Rosengrüße malträtiert.
Diese "Räuber" sind nicht mit Macht auf aktuell getrimmt. Sind es aber trotzdem oder vielleicht sogar gerade, weil die Figuren in ihrer Zeit begriffen werden können, die sich erschreckenderweise von unserer nicht viel unterscheidet.

Uta Trinks, Freie Presse 15. Oktober 2001

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Alles bleibt beim Alten

"Die Räuber" am Chemnitzer Schauspiel

Die Söhne werden erwachsen. Der eine giert engstirnig nach der Macht des Vaters; der andere genießt das Studentenleben in vollen Zügen - gnadenlos und ohne Grenzen. Doch während Franz nur schnöde nach Anerkennung und Besitz trachtet, zählt für Karl die große Revolte: Nieder mit der Moral der Alten! Und so zieht er mit seinen Freunden in die Böhmischen Wälder, wo sie als Räuberbande ihr Unwesen treiben. Als einer der Kumpane gefasst wird, lässt Karl die ganze Stadt anzünden.
Schillers Drama ist vollgestopft mit Metaphern, mit zeitlosen Wahrheiten über die Menschen. Da wären Zäsuren möglich gewesen, klare Bezüge zu aktuellen Ereignissen und modernen Generationskonflikten. Doch Regisseurin Bettina Jahnke lässt alles beim Alten. Fast scheint es, nicht die Geschichte ist ihre Intention, sondern gutes Schauspiel. Und das fordert sie meisterlich heraus. Allen voran belebt Thomas Martin die düstere karge Bühne von Ausstatterin Gundula Martin. Taumelnd zwischen eiskalter Berechnung und wahnsinniger Rage nimmt sein Franz Moor die väterliche Festung - und scheitert am Herz von Amalia. Gritt Galisch gibt die treue Geliebte von Karl als sprödes Weib mit klugem Kopf. Tobias D. Weber spielt eben diesen Karl mit verwegener Miene und keckem Blick. Mal nachdenklich, mal brutal und dann wieder großherzig, bleibt er doch stets der Räuber, ein Schurke mit vergrabener Seele. Kurzum: Ein sehenswerter Abend, dem leider das Bekenntnis fehlt.

Jenny Zichner, Sächsische Zeitung 16. Oktober 2001

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Anarcho-Ballade

Chemnitz triumphiert mit Schillers "Räubern"

Da fliegt der Pulverturm wieder mal in die Luft, "als wär' die Erde mitten entzwei geborsten, und der Himmel zerplatzt, und die Hölle zehntausend Klafter tiefer gesunken." Aber wann war Abonnenten-Gemütlichkeit zuletzt so dahin? Die Aktualität hat in der Chemnitzer "Räuber" eingeschlagen. Ein Trümmer der Twin Towers liegt wie ein falsches Requisit auf der Bühne. Er wird mit keinem Wort bedacht - und ist in jeder Silbe enthalten. Ein paar suggestive Klänge und der feste Blick ins Publikum reichen aus, um Schweizers Bericht 400 Meter hoch in den Horizont der Gegenwart ragen zu lassen.
Im Programmheft ist viel von der Generation X die Rede, von Inter-Netties, neuer Sorglosigkeit "in den Warteschleifen der Wohlstandsgesellschaft". Doch Bettina Jahnke verkneift sich den großen Modernisierungs-Dreh. Sie zeigt die Anarcho-Ballade in den Farben des ewigen Schauerdramas: als doppelte Irrfahrt, als Blutrausch und Totentanz, als Tragödie der Ratio und der Empfindung. Auf der Bühne marodiert die Bande, ein faschingstauglicher Haufen zwischen Wild West und Wild Ost. Es wird viel geschossen, und es ist an keiner Stelle lächerlich. Schillers Jugendstück entfaltet in Chemnitz aus sich heraus die Kraft, die noch jede Generation fasziniert hat. Die ungewollte Aktualität ist eine besondere Teufelei.
Die Stahlwände sind sehr nackt und sehr kalt. Die häuslichen Moors feiern bestimmt keine Parties. Franz ist ein parfümierter Schurke, der in seinem Bruderneid den Riesenlüster zur Affenschaukel macht. Thomas Martin füllt diese Rolle meisterlich aus. Die anderen Darsteller sind auch nicht schlecht, bleiben aber Satelliten. Die Amalia Gritt Galischs kommt in großer Toilette, herrisch und pompös, innere Hitze in Trotz und kalter Maske gefroren. Karl Moor (Tobias D. Weber) ist mehr der abgeirrte Idealist und Oberräuber als der Frauenheld. Am Ende: viel Beifall und einzelne Juchzer für eine schöne Ensembleleistung.

Ralph Gambihler, Leipziger Volkszeitung 17. Oktober 2001


 

 

  Erstellt am 14.08.2003