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Roman Michail Bulgakow - Bühnenfassung Malte Kreuzfeldt
  "Meister und Margarita"
 
Premiere am 17. März 2018
     
 
Regie: Malte Kreutzfeldt
    Bühne: Nikolaus Porz
    Kostüme: Anke Wahnbaeck
     


Längst verbannt aus der durchrationalisierten Gegenwart, kehrt der Teufel Voland dennoch alljährlich zurück, um sich eine Ballkönigin zu suchen und die Welt auf den Kopf zu stellen. In einem Sumpf aus Lügen, Habgier und Korruption watend, spült er lustvoll und bitterböse das Hässliche unserer Gesellschaft an die Oberfläche und spielt im Schein der großen Welt Theater. Kaum einer widersteht seiner verführerischen Anziehungskraft und mit seinem unwirklichen Treiben unterwirft er bald die halbe Stadt. Dafür fliegt so mancher Kopf. Während die einen ihre schmutzigen Hände in Unschuld waschen, landen andere in einer psychiatrischen Anstalt. Hier lebt auch der Meister. Er hatte einen biblischen Pilatus-Roman geschrieben, dessen Veröffentlichung allerdings an Kritik und Zensur scheiterte. Ohnmächtig, mittellos und ohne Aussicht auf eine gemeinsame Zukunft verließ er seine Geliebte Margarita und zog sich in die Anstalt zurück. Hier wartet er auf das Ende der Geschichte. Der Teufel nimmt schließlich das Schicksal der beiden Liebenden in die Hand und schenkt ihnen die Freiheit – denn die magische Fiktion hat die Wirklichkeit längst eingeholt.

Michail Bulgakow (1891-1940) schrieb Meister und Margarita unter dem Eindruck der stalinistischen Diktatur als kritische Satire auf die Gesellschaft seiner Zeit. Indem er mit der Erzählung um Pontius Pilatus am Tag der Kreuzigung Jeshuas sowie den mysteriösen Ereignissen in der Gegenwart zeitkritische und allegorische Erzählstränge verknüpft, stellt er die reale Umsetzung einer gerechten und wahrhaftigen Lebenswirklichkeit ohne staatliche Allmacht infrage, die auch heute noch als Utopie erscheint – und den Roman zu einem Schlüsselwerk der Moderne macht.

Text - Theater Chemnitz !!!

Die Premiere spielten:
Meister
-
Andreas Manz-Kozár
Margarita
-
Ulrike Euen
Voland
-
Jan Gerrit Brüggemann
Korowjew
-
Stefan Schweninger
Kater Behmoth, Pontius Pilatus
-
Susanne Stein
Azazello
-
Philipp von Schön-Angerer
Gella
-
Maria Schubert
Ivan Besdomny
-
Martin Esser
Michail Berlioz, Stephan Lichodejew, Nikolaj Bossoi
-
Christian Ruth
Dr. Strawinsky, Kaiphas
-
Wolfgang Adam
Latunski, Kantinenwirt, Jeshua
-
Marko Bullack
Pfleger, Marcus der Schlächter
-
Jan Beller*
Levi Matthäus
-
Martin Valdeig
Chor der Redakteure, Varitébesucher, Chor der Toten
-
Ensemble
 
* Student der Hochschule der Künste Zürich
 
 

KRITIK:

Der Meister und Margarita – In Chemnitz erzählt Malte Kreutzfeldt Bulgakows Roman als Feuerwerk der Taschenspielertricks

Eine Bühne dreht durch

Chemnitz, 17. März 2018. Leicht ist es nicht, Michail Bulgakow in einem Theaterabend gerecht zu werden. Rund 600 Seiten hat die deutsche Übersetzung seines Romans "Der Meister und Margarita". Von 1928 bis 1940 schrieb Bulgakow an diesem Lebenswerk. Nun bringt Malte Kreutzfeldt den russischen Klassiker in eigener Bühnenfassung nach Chemnitz, die den Stoff auf drei Bühnenstunden eindampft.

Unter der Kuckucksuhr

Ein sanfter Sprühregen aus Blut geht auf das gesenkte Haupt Jesu herab. Er hängt am Kreuz, wie man ihn aus jeder oberbayrischen Kapelle kennt: weißer Lendenschurz, Dornenkrone, lange Haare. Leise stimmt das Ensemble an: "Wenn bei Capri die rote Sonne im Meer versinkt / Und vom Himmel die bleiche Sichel des Mondes blinkt", Maria Magdalena aka Margarita wird ebenso blutrot und schluchzt, Jesus stirbt.
Ständig stirbt jemand in "Der Meister und Margarita", in dem zwei zentrale Handlungsstränge miteinander verwoben sind. Zunächst das stalinistische Russland der dreißiger Jahre, gegen das Bulgakow mehr satirisch-bissig als wütend anschreibt: Hier taucht der Teufel auf, in Gestalt des Ausländers Voland, einem Zauberkünstler, herausstechend und gleichermaßen mit eintöniger Arroganz gespielt von Jan Gerrit Brüggemann, mal in roter Netzstrumpfhose, mal mit aschblonder Perücke, aber immer mit Zigarette. Für seinen Walpurgis-Ball sucht er sich Ulrike Euens Margarita als Königin aus, die unglücklich verheiratet ist und stattdessen nur ihren Meister (Andreas Manz-Kozár) liebt.

Verrat, Korruption, Lügen überall

Der jedoch ist längst in der Anstalt gelandet, quasi freiwillig, um im Delirium der gut gemeinten Mittelchen seinem Ende zu harren. Er hat nicht überwunden, dass sein Romanmanuskript zu Pontius Pilatus von den Redaktionen verschmäht und wohl nie verlegt wird. Anfangs wird dieser Autor, später ein Schattenriss seiner selbst, am Rand der Bühne unter einer Kuckucksuhr installiert, um mit großem Halleffekt auf eine Schreibmaschine einzuhauen und das Geschehen auf der Bühne, also in seinem Roman voranzutreiben. Doch mit der Zeit verwebt Kreutzfeldt diesen Plot nach biblischem Vorbild immer eleganter mit der ersten, satirischen Erzählebene.
Dort arbeiten Voland und seine vier Gehilfen – in Chemnitz für die Lacher zuständig – an ihrem sardonischen Plan, die Gesellschaft zugrunde zu richten. Die macht es ihnen leicht: Verrat, Korruption und Lügen überall. Leider dreht dazu die Bühne von Nikolaus Porz durch: Ständig klappt irgendwo eine Luke auf oder zu, wahlweise mit einem klingelnden Telefon, einem Schachspiel, einer Parkbank oder einer Wodkaflasche dahinter. Ein rundes Plateau fährt unablässig hoch und runter, und auch die zwei Vorhänge kommen gar nicht mehr zum Stehen, die die zahllosen Umbauten verstecken sollen, aber auch als Projektionsfläche dienen und beide Funktionen nur mäßig erfüllen. Überhaupt ist das Videokonzept so überladen wie eine Power-Point-Präsentation in den frühen Nuller-Jahren.

Teuflische Taschenspielertricks

Als Margarita kurz nach der Pause beinahe nackt ihren beglückenden Besenritt antritt, werden gelbe Funken auf sie geblendet wie ein Wasserfall, kurz darauf glüht minutenlang ein Feuerball auf der Leinwand, der aussieht wie die brennenden Autos nach einem Unfall in dem Computerspiel GTA II. Später kommt ein Leuchtstoffröhren-Kreistanz hinzu und, als wäre das noch nicht genug, eine echte Stichflamme, ein-, zwei-, dreimal, ganz so, als wolle Voland (bzw. Kreutzfeldt) seine eigenen Effekte stets übertreffen. Hinzu kommen endlos viele Taschenspielertricks des Teufels, die meist zu schlecht versteckt sind, um zu beeindrucken, aber manchmal auch zu gewollt durchschaubar, um ulkig zu sein.
Kreutzfeldt und Porz beschränken sich nicht auf wenige Stilmittel und Motive, sondern wollen alles mitnehmen, vermitteln oder zumindest andeuten, was bei Bulgakow und im Matthäus-Evangelium vorkommt. Nicht nur die Figur des Levi Matthäus (Martin Valdeig) hätte man sich sparen können, denn anders als im Roman sind sämtliche Figuren der Pilatus-Erzählung eher funktionale Klischees denn handelnde Individuen. Manchmal stehen zwölf Spieler gleichzeitig und ohne erkennbares Arrangement auf der Bühne: Das ist symptomatisch für eine Inszenierung, die sich selbst sehr ernst nimmt, hoch hinaus will und durch zu viele Figuren, zu viele Ablenkungen eher zäh und zugleich zerfahren endet – mit dem Bild eines Atompilzes.

von Kornelius Friz http://www.nachtkritik.de

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Unglaublich was passiert, wenn der Teufel auf die Erde kommt

Chemnitz: Premiere von "Meister und Margarita" im Schauspielhaus

Großer Premierenabend am Samstag im Schauspielhaus (Zieschestraße): Die Uraufführung von "Meister und Margarita" nach dem Roman von Michail Bulgakow (1891-1940) begeisterte das Publikum, das die Darsteller gar nicht wieder gehen lassen wollte.

Es ist keine leichte Kost, die Regisseur Malte Kreuzfeldt da den Zuschauern im ausverkauften Theater präsentierte:
Der Teufel Voland kommt alljährlich auf die Erde, um sich eine Ballkönigin zu suchen und dabei die Welt auf den Kopf zu stellen. Kaum einer kann seiner Anziehungskraft widerstehen und so holt er bitterböse das Hässliche unserer Gesellschaft an die Oberfläche. So manch einer landet bei dem bunten Treiben in der Psychiatrie. Dort lebt auch der Meister, ein Schriftsteller, der mit seinem Pilatus-Roman an Kritik und Zensur gescheitert ist. Er verließ seine Geliebte Margarita, weil er den Glauben an eine gemeinsame Zukunft verloren hatte. Voland nimmt sich der beiden unglücklichen Liebenden an. Ob das gut gehen kann?

Jan Gerrit Brüggemann spielt den Teufel als Verführer, der den Menschen ihre Schwachpunkte aufzeigt und der Gesellschaft den Spiegel vorhält. Andreas Manz-Kozár ist der Meister, resigniert und scheinbar ganz in seiner eigenen Welt ist er der Ruhepol in der hektischen Gegenwart. Seine Geliebte Margarita wird von Ulrike Eugen mit vollem Körpereinsatz gespielt.

Malte Kreuzfeldt inszeniert das Stück tiefgreifend, humorvoll und kurzweilig. Das intensive Spiel des gesamten Ensembles wird geschickt unterstützt von Effekten und Schatteneinspielungen.

Victoria Winkel, Chemnitzer Morgenpost, 18.03.2018

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Ein Kuss für den Teufel im Chemnitzer Schauspiel

Der "Meister und Margarita" bekommen noch eine Chance als Paar. Michail Bulgakows Kultbuch darf im Chemnitzer Schauspiel seine Magie entfalten.

Chemnitz. Ein Hufeisen, direkt aus der Hand des Teufels: Was will man mehr? Dem "Meister und Margarita" kann nichts Besseres passieren. Sie waren schon mal ein Paar - und dürfen es nach vielen Wirren wieder sein. Uneigennützig freilich war die Glücksgabe des satanischen Herrn Voland nicht. Schließlich liefert des Meisters Romanmanuskript dem Leibhaftigen indirekt die Bestätigung dafür, dass es ihn tatsächlich gibt. Doch was heißt hier eigentlich wirklich und was imaginär?

Michail Bulgakows "Meister und Margarita" ist nicht nur ein Roman-Klassiker des 20. Jahrhunderts, das Buch ist vielmehr Kult, ein dermaßen komplexes satirisches Werk über die menschliche Gesellschaft im Allgemeinen und den Überwachungsstaat der Stalinzeit im Besonderen, dass es schlicht nicht in einen einzigen Theaterabend zu packen ist. Also muss man sich was raus- picken aus dieser überbordenden Geschichte. Die Bühnenfassung von Malte Kreutzfeldt, der auch die ideenreiche Regie verantwortet, feierte am Samstag im Chemnitzer Schauspielhaus ihre mit langem Beifall bedachte Uraufführung. Zu erleben war ein magisches Spektakel, das viele Menschheitsfragen berührt. Da zieht ein faszinierender szenischer Reigen vorbei, als wischte man in seinem Smartphone durch die Bilder-Galerie.

An drei Strängen hangelt sich die Handlung entlang: Ein Schriftsteller, Meister genannt, schreibt einen Roman über Pontius Pilatus. Im Moskau der 1930er-Jahre reißt sich der Teufel eine Wohnung unter den Nagel. Was tut's, wenn dafür der Vormieter sein Leben lassen muss? Er ist ohnehin nicht der Einzige in diesem Stück. Und schließlich kommen die einstigen Geliebten wieder zusammen. Das Ganze wird letztlich so miteinander verschränkt, dass man sich drei Stunden lang im Tollhaus wähnt. Da geht es um Korruption, Wahrheit und Lügen, Feigheit, Liebe und Freiheit. Der Grenzen sprengende Abend changiert zwischen Wirklichem und Fiktivem, Gut und Böse. Komik und Tragik.

Das Ensemble ist im überzeugenden Großeinsatz. Überragend Jan Gerrit Brüggemann als cooler, selbstgefälliger Teufel, der mit einer witzigen Viererbande von Helfern (Susanne Stein, Philipp von Schön-Angerer, Stefan Schweninger und Maria Schubert) die Strippen zieht. Andreas Manz-Kozár verleiht seinem Meister glaubwürdig das Resignative eines Künstlers, dessen Werk nicht erscheinen darf, während Ulrike Euens Margarita beherzt mit dem Zauberer Voland einen Pakt eingeht, inklusive Kuss, um die Liebe ihres Lebens und den Roman zu retten. Dass diese russische Faustversion zu einem vielschichtigen Theatererlebnis wird, ist auch dem eindrucksvollen Bühnenbild (Nikolaus Porz) und den fantasiereichen Kostümen (Anke Wahnbaeck) zu danken.

Uta Trinks, Freie Presse, 19.03.2018

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Malte Kreuzfeld bringt „Meister und Margarita“ auf die Chemnitzer Schauspielbühne

„Der Meister und Margarita“, ein Jahrhundert-, nein Jahrtausendbuch, aufgeschrieben von Michail Bulgakow im Moskau der Stalinzeit. Seit 1985 ist gibt es nun die mindestens vierte Inszenierung des Romans in Sachsen, jeweils in einer eigenen Fassung – nun also die des Regisseurs Malte Kreutzfeldt am Chemnitzer Schauspiel

Der Höllenfürst kommt, mit kleinem Gefolge wieder einmal auf die irdische Welt, um seinen Ball zu feiern – oder jenen seltsamen Menschen aufzusuchen, der nach dem Vorbild eines Wanderpredigers Gut und Böse in einem Reich der Freiheit und Wahrheit versöhnen will. „Der Meister und Margarita“, ein Jahrhundert-, nein Jahrtausendbuch, aufgeschrieben von Michail Bulgakow im Moskau der Stalinzeit.
Seit 1985 ist gibt es nun die mindestens vierte Inszenierung des Romans in Sachsen, jeweils in einer eigenen Fassung. Nach Bernd Rump (Schicht-Theater Dresden), Heinz Czechowski (1988 Leipzig) Felicitas Zürcher (2012 Dresden) nun also die des Regisseurs Malte Kreutzfeldt am Chemnitzer Schauspiel. Sie zeichnet sich jedenfalls dadurch aus, dass sie am stärksten der Schwarzen Magie huldigt und die Geschichte des russischen Faust der Sowjetzeit frei von lokalem oder gar folkloristischem Kolorit, aber sehr wohl im Sinne von Goethes Aufforderung erzählt: „Drum schonet mir an diesem Tag Prospekte nicht und nicht Maschinen. Gebraucht das groß’ und kleine Himmelslicht…“

Nikolaus Porz übersetzt das auf seiner Bühne in ein gelegentlich überbordendes Vielerlei an Licht-, Pyro- und Videotechnik, lässt aber anfangs nur den Blutmond eindrucksvoll in gefährliche Nähe rücken. Ehe sich Voland in den Streit zweier Literaten einmischt, in den Streit, ob Jesus Christus – wie auch immer er historisch und politisch zu bewerten sei – überhaupt existiert habe. Quasi gleichzeitig findet das Verhör oder Gespräch des Pontius Pilatus mit dem der Volksverhetzung bezichtigten Jeschua statt, protokolliert von einem Sekretär beziehungsweise dem Meister, der an seinem Roman schreibt und damit nicht zuletzt die Aufzeichnungen des Levi Matthäus korrigieren wird. Freilich ist nicht die Zeit deutlich zu machen, wie sich dabei die Einsicht des Pilatus entwickeln wird und zugleich seine Feigheit, daraus Konsequenzen zu ziehen.

Denn ein Kopf muss rollen möglichst schnell, der des Literaturzeitschriftchefredakteurs Berlioz. Die Prophezeiung schwirrt schon vielfach durch den Raum, während Voland den Streithähnen seine Zigaretten anbietet. Jan Gerrit Brüggemann gibt den angeblichen Professor zunächst als einen dieser modernen Magier, ein bisschen eitel und schmierig, schlecht gelaunt wohl angesichts der farblosen Gestalten, mit denen er sich da auseinandersetzen muss. Er hält die Zeit an, lässt Berlioz (Christian Ruth) rückwärts laufen und sogar sprechen, doch der kann die Chance nicht nutzen, Anja hat schon das Sonnenblumenöl verschüttet, auf dem er ausgleiten wird, um unter der Straßenbahn zu enden. Freilich, je effektvoller die Tricks, desto mehr verkürzen sich die Dialoge auch hier zu Anekdoten und Bonmots, aufkommende Eindringlichkeit wird buchstäblich gesprengt durch letztlich billige Effekte. Selbst die Kreuzigungsszene wird kitschig eingefärbt durch die Schnulze von der Caprisonne. Pilatus, den Bulgakow allerdings von der Insel träumen lässt, hätte der Song vielleicht gar nicht gefallen, aber der Meister mochte ja auch nur Margarita und nicht ihre gelben Blumen.

Wer den Roman nicht wenigstens ein bisschen kennt, wird es erst einmal nicht leicht haben, in dem Ganzen einen Sinn, eine Absicht zu erkennen. Eine Geschichte in groben Zügen lässt sich dagegen gut verfolgen, denn Kreutzfeldt hat für eine klare Struktur der Abläufe an abstrahierten Schauplätzen gesorgt. Im Umfeld von Jerusalem sowieso, wo die herrlich klare Schilderung Bulgakows zum Tragen kommt. Voland schaut da gern vorbei, nistet sich ansonsten ein in Berlioz’ Wohnung: mit dem eilfertig geschwätzigen Kater Behemoth (Susanne Stein, auch Pilatus), dem schießwütigen Dämon Azazzello (Philipp von Schön-Angerer), der schrillen geschwänzten Gella (Maria Schubert) und dem im Wiener Dialekt nicht verbürgte Ratschläge erteilenden Korowjew (Stefan Schweninger). Hier findet gewissermaßen alles statt, was unter Gesellschaftssatire zu Wucher, Geldgier, faulem Fisch etc. zu verbuchen ist, und zwar in einem recht zeitgenössischen Sinne. Des Berlioz abgetrennter ungläubiger Kopf ist irgendwie immer dabei, aber Anspielungen auf längst vergangene „sozialistische“ Verhältnisse sind weitgehend ausgespart.

In der Psychiatrie immerhin, wo alle landen, die dem Teufel oder gefährlichen Gedanken zu nahe gekommen sind, leistet man sich ein Zitat. „Niemand hat die Absicht, Sie für verrückt zu erklären“, versichert Dr. Strawinski (Wolfgang Adam), ansonsten eine Art Freud-Karikatur, in überliefertem Tonfall dem Dichter Besdomny. Der war bei seiner vergeblichen Verfolgung des Magiers aufgegriffen worden, nur mit eine Unterhose bekleidet, und erzählt nun wirres Zeug von ungebetenen Gästen, die der Zauberei mächtig und am Tod des Literaten schuldig seien. Ehe er in der Schizophrenie versinkt, wird ihm der Meister erscheinen, der sich nach dem allgemeinen Verriss seines noch nicht einmal veröffentlichten Romans hierher geflüchtet hat, was sich wiederum als eine sehr gegenwartsnahe Anspielung verstehen lässt. Und schließlich auch Margarita, eine große, starke Frau (Ulrike Euen), die leider kaum Zeit hat, ihre unvergleichliche Liebe und Treue zum Meister glaubhaft zu machen, ehe sie sich mit zunehmender Überzeugung, aber wenig plausibler Körpersprache in eine Hexe verwandelt, um der Einladung des Höllenfürsten zu folgen.

Nachdem das wuselnde, grell, phantastisch und bunt schillernde Getriebe einer Weltstadt auf eine Folge von Provinzanekdoten reduziert erschien, versenkt sich Kreutzfeldt nun teilweise geradezu wortgetreu in das mystisch-philosophische Finale des Romans. Jeschua hat über Levi Matthäus ausrichten lassen, der Meister habe nicht Licht, sondern Ruhe verdient, und so sei in seinem Reich nicht der rechte Platz für das Paar, sondern eher an einem Ort, zu dem nur der Herr der Finsternis Zugang hat. Auf dem Weg dahin üben sie Barmherzigkeit, um eine Kindsmörderin wie den Pilatus von höllischer Qual zu befreien. Dass sie gemeinsam auf ihr ewiges Haus zufliegen und sie es glücklich und verdient erreichen, unterscheidet sie von Heinrich und Margarete oder Philemon und Baucis, und das hat nun nichts mehr mit Satire zu tun. Aber die kosmische Versöhnung findet statt, während die Erde im Chaos versinkt und Atompilze aufsteigen, von denen Bulgakow, bei dem das Leben in Moskau seinen bald annähernd gewohnten Gang weitergeht, noch nichts wissen konnte.

Das am Ende leicht reduzierte Publikum war recht begeistert von einer so engagierten wie professionellen Ensembleleistung.

Tomas Petzold, Dresdner Neuste Nachrichten, 19.03.2018

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Der Rest ist Schwelgen

Bulgakows „Meister und Margarita“ am Schauspiel Chemnitz kratzt schön an der Oberfläche. Wird die Inszenierung dem Stoff gerecht?

Was für ein Stoff für ein Drama – „Der Meister und Margarita“! Das Drama einer unglücklichen Liebe zwischen den Titelfiguren. Das Künstlerdrama um den Meister und seinen von der Zensur verbotenen Roman. Der zeitgeschichtlich höchst spannende Blick auf die Stalin-Ära, in der die Handlung spielt. Die biografischen Bezüge zu Michail Bulgakow, der ja mit genau diesem Roman ähnliche Erfahrungen wie der Meister machte – auch „Der Meister und Margarita“ durfte nicht erscheinen. Faszinierend ist auch Bulgakows Anti-Mephisto Voland, der stets das Gute will und dann das Böse schafft, der die Korrupten und die Opportunisten brutal aus der Welt räumt. Oder die Kreuzigungsgeschichte, das historische Drama um Pontius Pilatus, der Roman im Roman. Dazu Magie und Hexen und am Ende ein in Flammen stehendes Moskau. „Der Meister und Margarita“ bietet mehr als genug für einen dramatischen Theaterabend.

Es will kein Ende finden

In Chemnitz macht Regisseur Malte Kreutzfeldt aus all dem über weite Strecken eine Art Comedy in einem historischen Niemandsland. Seine Inszenierung spielt nicht damals und nicht heute, und sollte das Ziel gewesen sein, als Allegorie zu enden – das hat nicht geklappt.

Dabei ist enorm viel los auf der Bühne. Effekte jagen einander, es klingelt und knallt und pufft und nebelt. Was den Vorteil hat, dass viel gelacht wird, bis zur Pause fast ununterbrochen. Schnell geht es, manchmal rast es regelrecht, so wie die Straßenbahnen, die im Berufsverkehr-Takt lautstark die Szene passieren. Schnell trennt eine von ihnen dem Dichter Michail Berlioz den Kopf ab. Und Voland? Zaubert! Kaninchen aus dem Hut, Geld für alle aus dem Himmel. Und so weiter. Die Bühne dreht und hebt sich, Lichtschwerter tanzen, Kurzschlüsse zündeln und qualmen. Alles sehr hübsch. Aber wird das dem Stoff gerecht? Später, nach der Pause, als der Abend zäh und schleppend zur Geschichtstragödie wird, zeigt sich: leider nein. Nun zieht er sich und zieht sich und will kein Ende finden.

Jetzt herrschen vornehmlich Ernst und Untergangsstimmung, und ein Hauch von Belehrung liegt in der Luft. Im Roman brennt Moskau, hier steigt ein Atompilz auf. Das verstehe, wer will. Menschheitsdramen finden statt, das ist nicht zu übersehen, aber sie in konkrete menschliche Zusammenhänge zu stellen, dafür ist es längst zu spät. Zu wenig hat die Inszenierung bis dahin in die Protagonisten investiert, zu blass vor allem bleibt die Liebesgeschichte zwischen dem Meister und Margarita. Was diese Frau auf sich nimmt, um ihrem Geliebten zu helfen, wie sie leidet, denkt, hofft und verzweifelt – Fehlanzeige. Sie begibt sich sogar fast nackt in die Hände des Teufels und wird dessen Ballkönigin, was mit allerlei Effekten verschnörkelt und aufgepeppt wird. Wir sehen ihre Unterwäsche. Die Frau Margarita aber sehen wir nicht.

Ebenso der Meister, der erst spät überhaupt als Person sichtbar wird, der ewig lange nur am Bühnenrand sitzt, vor ihm eine Schreibmaschine, hinter ihm eine Kuckucksuhr. Davon, ein Zentrum des Stückes zu sein, ist er so weit entfernt wie von der Veröffentlichung seines Romans im Russland der Stalinzeit. Am ehesten ist Voland zu greifen, in Chemnitz ein zynisch kühler Zauberer, doch bereits bei seinen Begleitern, dem Kater Behemoth und Azazello kippt alles wieder in Richtung komische Nummer. Behemoth kommentiert putzig mauzend das Geschehen, und Azazello ist ein dümmlich tollpatschiger Cowboy. Selbst sein Colt, der unkontrolliert herumballert, scheint schlauer zu sein als er. Alles lustig, alles gut gespielt und am Ende doch kaum mehr als eine disparate Aneinanderreihung.

Die Fassung, die Regisseur Malte Kreutzfeldt eigens dafür angefertigt hat, versucht, die verschiedenen Ebenen des Romans direkt szenisch zu verweben, statt sie nur aneinanderzureihen. Sie greift in heutiges Vokabular, ist manchmal derb und oft originell. Nur leider vernachlässigt sie sträflich das, was Bulgakows Roman neben seinen faustischen Elementen zu einem Klassiker verhalf: Es sind die scheinbar kleinen, die menschlichen Dramen, die sich hinter den großen historischen verbergen. Bei Pontius Pilatus wird Jeshua opulent gekreuzigt, umgeben ist er dabei von belanglosen Anzugträgern in H&M – ein harmloses Passionsspiel. Selbst beim Meister, diesem exemplarisch für die Freiheit der Kunst stehenden und strebenden Schriftsteller, flackert die existenzielle Kraft nur einmal kurz auf, bei seinem Monolog in der Irrenanstalt.

Der Rest ist Schwelgen. Bunt und vielfältig ist der Abend, voller Licht- und Bühnen- und Videoideen. Mit Feuer und Glitter und Blut und Slapstick. Getragen wird er von einem Ensemble, das sich diesem Feuerwerk bereitwillig und spielfreudig hingibt. Das Szenen zurückspult, wie eingefroren stehen bleibt und zwischen Flüstern und Megafon alle Lautstärken bedient. Sehr ansehnlich das alles, aber eben nur ein schönes Kratzen an der Oberfläche dessen, was den „Meister und Margarita“ so groß gemacht hat.

Matthias Schmidt, Sächsische Zeitung, 20.03.2018

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Zu viel der Fülle

Malte Kreutzfeldt inszeniert am Schauspielhaus „Meister und Margarita"

Fragt die Abendbegleitung: „Kannst du mir das mal in zwei Sätzen zusammenfassen?" Nein, geht nicht. Schon die kommenden „bis zu 2.500 Zeichen mit Leerzeichen" dürften eng werden. Schließlich hat sich Malte Kreutzfeldt mit Michail Bulgakows „Meister und Margarita" einen 600-Seiten-Roman vorgenommen und den auf drei Stunden Theater fürs Schauspielhaus zusammengedampft, in denen trotzdem offenbar noch alles passieren sollte/musste, was dem Roman seine Prägung gibt: die große, bedingungslose Liebe der Margarita zu ihrem Meister, die Schwierigkeit der Künstlerexistenz, der Kampf des absoluten Bösen gegen das kleinere und größere Böse auf der Erde, der alltägliche Kampf mit der Feigheit vor der Obrigkeit, die glaubenstechnische Rehabilitierung des Pontius Pilatus.

Wie der letzte Satz addiert auch Kreutzfeldts Stückfassung Thema um Thema. Sie kratzt an vielen Oberflächen, ohne Tiefenwirkung zu erzielen. Am ehesten wird sie noch der bedingungslosen Liebe gerecht: Margarita sucht ihren Meister, dem sie Muse für einen Roman über Pilatus war. Der Roman durfte nicht gedruckt, aber von der Kritikerschaft zerrissen werden, woraufhin sich der Meister in eine Irrenanstalt zurückzog. Margarita würde alles dafür tun, ihn wiederzusehen - sogar dem Teufel zu Diensten sein.

Der - von Bulakow „Voland" getauft - ist in der Stadt, stiftet Chaos, bestraft die eine oder andere Sünde, lässt Köpfe rollen und kapitalistische Gier in Konfettiregen untergehen. Doch eigentlich strebt er einem Ball zu, bei dem Margarita seine Ballkönigin sein soll. So kommt der Pakt zustande. Und weil Margarita die ihr zugedachte Rolle gut erledigt, kommt es zur Wiedervereinigung mit dem Meister, auf Anweisung von ganz oben – Voland empfängt dazu ein Telefonat direkt aus dem Himmel. Denn schließlich spielen ja auch Jesus und Pontius Pilatus mit.

Bewundernswert der Mut, sich dieses Mammutwerkes anzunehmen. Da wird Scheitern einkalkuliert und immerhin ist es ein Scheitern auf hohem Niveau: Man darf sich trefflich unterhalten fühlen von manchen Zaubertricks, den Begleitern des Teufels, Lichtshows und allerlei Raffinessen der Bühnentechnik, von Gesangseinlagen und Videoprojektionen und Stichflammen. Ständig wechselt die Szenerie, an Mensch und Maschine wird nicht gespart: Es ist Revuetheater (das dann - meta - wiederum parodiert wird).

Und so ist auch Voland hier vor allem der Varietédirektor: Jan Gerrit Brüggemann bringt ein großes Maß an Diabolik auf die Bühne, Verführungskunst in roter Netzstrumpfhose, Ordnungssinn gegenüber seinen Begleitern - und strukturierende Figur in dieser Bühnenfassung. Ihm gelingt es, das mäandernde Stück weitgehend zusammenzuhalten. Meister und Margarita haben sich Leser wohl ein wenig jünger vorgestellt. Andreas Manz-Kozár und Ulrike Euen (die einen fantastischen Ritt auf dem Besen vollführt) bringen jedoch Reife in die Figuren, Stolz und Abgeklärtheit, die neue Dimensionen eröffnen. Vielleicht wäre das ein Anknüpfungspunkt gewesen, dem 600-Seiten-Roman beizukommen. Hätte, könnte, wäre... Es sind mehr als zwei Sätze. Auch mehr als 2.500 Zeichen.

Volker Tzschucke, Stadtstreicher Chemnitz, 05_2018

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  Erstellt am 25.06.2021