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Ferenc Molnár
  "Liliom"
 
Premiere am 06. April 2013
     
 
Regie: Marc Lunghuß
    Bühne: Tobias Schunck
    Kostüme: Cleo Niemeyer
     

Budapest, um 1910. Liliom ist Ausrufer am Karussell der Frau Muskat auf dem Vergnügungspark im Stadtwäldchen. Ein Rummelplatz-Zampano, gefürchtet für seine Rauflust und der Held aller Dienstmädchen. Doch für Julie fühlt Liliom mehr und begehrt sogar gegen seine eifersüchtige Chefin auf - wobei er prompt seine Anstellung verliert. Das macht ihm aber nichts aus, zu wohl fühlt er sich bei Julie, zu bedingungslos sind auch ihre Gefühle ihm gegenüber, keimt in ihm durch Julie die Hoffnung, "doch noch ein Mensch zu werden". So heiratet der entlassene Jahrmarktsausrufer überglücklich das mittlerweile auch entlassene Dienstmädchen. Quartier finden sie bei einer entfernten Verwandten Julies, der Mutter Hollunder, "die nur mit dem Maul bös ist".

Liliom hat kein Handwerk gelernt und verdingt sich auch nicht als Tagelöhner. So steigert er sich in die Verzweiflung des Nichtstuns, ist darüber unglücklich - und schlägt seine Frau, weil sie Recht hat. Und Julie verzeiht ihm, weiß sie doch um sein gutes Herz, versteckt hinter der Grobheit. Liliom taumelt durch das Leben. Bis Julie ihm verkündet, dass sie ein Kind erwartet. Aus voller Verantwortung für die kleine Familie lässt sich Liliom von seinem Saufkumpanen Ficsur zu einem Raubüberfall überreden. Doch schon vor dem Überfall verliert er seinen Anteil beim Kartenspiel, der Coup misslingt und Liliom begeht auf der Flucht vor der Polizei Selbstmord - aus Liebe zu Julie und dem Kind unter ihrem Herzen.

Doch Liliom erhält die Möglichkeit zur Wiedergutmachung: Nach 16 Jahren darf er für einen Tag zur Erde hinab und seiner herangewachsenen Tochter Luise etwas Gutes tun, was seine Läuterung bewiese. Als Fremder spricht er sie an, lässt aber kein gutes Haar an sich, Liliom, dem ihr unbekannten Vater, so dass er des Hauses verwiesen wird. Zum Abschied will er seiner Tochter noch einen leuchtenden Stern schenken, den er vom Himmel gestohlen hat. Luise nimmt ihn nicht an - und Liliom schlägt in alter Unbeherrschtheit seine Tochter. Er ist ein unverbesserlicher Mensch.

Text - Theater Chemnitz !!!

 

 
Die Premiere spielten:
Liliom
-
Wenzel Banneyer
Julie
-
Runa Schäfer
Marie
-
Anna-Sophie Fritz*
Frau Muskat
-
Hartmut Neuber
Luise
-
Gwendolin Unger** / Luise Emilie Tschersich**
Ficsur / Stephan Kadar
-
Yves Hinrichs
Wolf Beifeld
-

Karl-Sebastian Liebich

Linzmann
-
Christian Neubert***
Polizist
-

Urs Rechn

 

* Studenten der Universität Mozarteum Salzburg

** Mitglieder des Theaterjugendclubs "KarateMilchTiger"
*** Mitglieder der Statisterie der Theater Chemnitz
 

KRITIK:

 

Der Unverbesserliche

Er ist ein echter Kerl und ein absoluter Versager: "Liliom" aus Franz Molnárs Vorstadtlegende erobert die Bühne des Chemnitzer Schauspiels.

Mädels-Kreischalarm: In Glitzerjacke und mit Mikrofon hat Liliom wie jeden Tag seinen großen Auftritt Er ist ein Star. Seinetwegen kommen die Menschen, vor allem die weiblichen, ins Amüsierviertel und füllen die Kasse der Frau Muskat, die da ein Karussell betreibt. Liliom ist ihr Garant fürs sichere Geschäft - und ihr Liebhaber. Doch nicht mehr lange. Denn Franz Molnárs Vorstadtlegende genanntes Stück "Liliom", das am Samstag im Chemnitzer Schauspielhaus seine Premiere erlebte, erzählt eine andere Geschichte.
Große feste Ketten hängen in Tobias Schuncks Bühnenbild vom Karussell-Himmel. Der Halt, den sie den Gästen beim fliegenden Vergnügen bieten, geht dem Rummerplatz-Hero völlig ab. Was anderes als Posen hat der nämlich kaum zu bieten, als er von der eifersüchtigen Chefin entlassen wird, nachdem diese sah, dass Liliom einer anderen den Arm um die Taille legte. "Sauereien" auf ihrem Ringelspiel könne sie nicht dulden, schreit die Gekränkte, die mit Anzug und golden funkelnden Highheels von Hartmut Neuber als schillernde Figur ins Rennen geschickt wird. Liliom macht sich mit dem bisschen Plunder, den er besitzt, unterm Arm davon. Sein Schicksal, seinen Absturz bis ganz tief ins Fegefeuer, man könnte das tragisch nennen. Irgendwie mag man aber in der Inszenierung von Marc Lunghuß keine Empathie aufwenden für diesen Großkotz mit dem Machogehabe. Da versucht einer, ein guter Mensch zu werden - und versemmelt es partout immer wieder. Chancen schlägt er aus oder sieht sie einfach nicht
Liliom bleibt bei Wenzel Banneyer ein Fremder, der sich einen so dicken, harten Panzer über die selbst kaum eingestandenen Schwächen gelegt hat, dass man sein Innerstes allenfalls erahnen kann. Nur in flüchtigen Augenblicken, die man schnell übersehen könnte, scheinen da mal Verletzlichkeit und Unsicherheit durch. Sympathien bringt man da schon eher für Julie auf, die nicht als Vamp daherkommt, sondern dem Liliom in gänzlicher Unerfahrenheit verfällt, was trotzdem wenig verständlich bleibt. Wie eine Klette hängt sie sich an diesen Kerl, der sie nie wirklich gut behandelt und zudem schlägt. Erst als der sich selbst von der Erde expediert, findet sie zu sich. Mit dem Kind, das sie von Liliom bekommt, hat sie ein zwar bescheidenes, aber doch ein Auskommen und einen Platz im Leben gefunden, in dem sie sich nicht mehr wie einst mit Liliom fast tierisch über den kümmerlichen In halt einer Billig-Supermarkt-Tüte hermachen muss. Runa Schaefer ist die zunächst naive, mit großen Augen fragende junge Frau, die sich am Ende als die Stärkere erweist.
Häufig quasseln die Figuren ungebremst aufeinander los, keiner hört dem anderen zu und alle reden gleichzeitig, dass man sich im Nachmittagsprogramm privater Fernsehsender glaubt. Diese eloquente Sprachlosigkeit nutzt sich ab und langweilt schnell. Liebesgeschichte, Sozialdrama, Spektakel, Märchen - der Abend hat von jedem etwas und doch insgesamt zu wenig Entschiedenheit. Die Schauspieler tun ihr Bestes - in schrillen wie stillen Momenten, aber so ganz und gar reingezogen in die Geschichte, die vom Beginn des 20. Jahrhunderts ins Heute transferiert wurde, wird man nicht. Julies Freundin Marie (Anna-Sophie Fritz), die anfangs noch versucht, jener die Augen über ihr Schlamassel zu öffnen, und deren Macker Wolfgang (Karl Sebastian Liebig), genannt Wolf, geben sozusagen das Kontrastprogramm zum Protagonistenpaar ab. Ihnen gelingt der Aufstieg aus dem Vorstadtmilieu. In dick aufgetragener Selbstgefälligkeit stürmen sie über die ansonsten triste Szenerie.
Das Karussell des Lebens dreht sich und dreht sich. Liliom, den Unverbesserlichen, hat es von der Plattform geweht. Vom Premierenpublikum gab es viel Beifall.

Uta Trinks, Freie Presse, 08.04.2013

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Lustig, laut, lau: ,Liliom' im Schauspielhaus
Mädchenaufreißer mit dem Liebreiz eines Müllkübels

Bei so einer simpel-schönen Bühnenidee hüpft einem das Herz: Nur durch einen länglich-trapezförmigen Ausschnitt dringt Licht von der rabenschwarzen Bühne. Trauernde glotzen über den Rand - und das Publikum guckt sozusagen aus dem Grab nach oben. "Ihm ist's jetzt besser so", tönt es heuchlerisch vom Grubenrand herab.
Das wäre so etwa das Letzte, was man im Leben sieht und hört, wenn man denn noch könnte. Hier "erlebt" das jedenfalls Andreas Zavoczki, genannt "Liliom". Vor reichlich hundert Jahren verfasste das Budapester Schlitzohr Ferenc Molnár (1878-1952) die gleichnamige tragisch-komisch-mystische Vorstadtlegende von diesem Rummelplatz-Star, dem Mädchenaufreißer, dem Taugenichts, der sich nach verpatzter Karussell-, Kindszeuger- und Kriminellenkarriere selbst abmurkst - und auch noch die Laufbahn im Himmel gründlich versemmelt.
Marc Lunghuß schaufelt seine Chemnitzer Inszenierung ins Euro-Geil-und-Gag-Zeitalter: manchmal lustig, oftmals laut, mehrmals lau. Lustig geht es überwiegend im Himmel zu - mit gut im Fleisch und Geist stehenden, überaus korrekten Sachbearbeitern, die auch schon mal auf ihre Gäste mit dem Katapult schnipsen (Urs Rechn, Christian Neubert). Laut wird es, wenn einen die Musik überwummert und - fast unerträglich - pubertierendes Weibs- und Mannsvolk (Runa Pernoda Schaefer, Anna-Sophie Fritz, Karl Sebastian Liebich) auf Überdrehtdoof mimen muss. Flau wird es, wenn einem der ganze Kram sonstwo und der verschnatterte Text am Ohr vorbeigeht: Selbst Wenzel Banneyer als Liliom, eigentlich Idealbesetzung für das herzzerreißende Scheitern eines Deppen, muss überwiegend mit dem Liebreiz eines Müllkübels Schlechtsprech durch die Inszenierung bellen. Macht so was in der Vorstadt Frauen scharf?
Wenigstens wird klar Liebe und Lügen kommen auf leisen Pfoten. Ein hochhackiger Hartmut Neuber als Frau Muskat und ein fieser Yves Hinrichs als Ficsur lassen schon mal Herz und Alarmglocke ins Blubbern bringen.
Nach einem missglückten Tagesausflug auf die Erde tritt Liliom endgültig ab. Das letzte Wort natürlich deutlich fäkal gefärbt. Na ja, ganz so schlimm ist die Inszenierung wirklich nicht geworden. Der Beifall zur Premiere am Sonnabend im Schauspielhaus war schon ziemlich himmlisch.

Ch. Hamann-Pönisch, Morgenpost, 08.04.2013

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Ein Mensch werden

Von den, dieser Spielzeit des Chemnitzer Schauspiels als...

... Motto dienenden "Illusionen" handelt auch Ferenc Molnárs "Liliom", dem erst die 1913 in Wien vorgelegte Fassung Alfred Polgars zum Welterfolg verhalf.
Regisseur Marc Lunghuß und sein Dramaturg Matthias Huber versetzen nun das Stück aus einem Budapester Vergnügungspark vor dem l. Weltkrieg in eine von Hartz IV und Eurokrise gebeutelte Gegenwart, arbeiten mit dem Rotstift behutsam an Text und Personal. Dadurch büßt das Stück zwar einiges an Atmosphäre ein, gewinnt aber an für ein heutiges Publikum nachvollziehbarer Unmittelbarkeit.
Der "Rummelplatz-Zampano" Liliom, der so gern Mensch sein möchte, scheitert auf der ganzen Linie. Bei seiner Liebsten Julie, deretwegen er den Ausrufer-Job verloren hat, rutscht ihm gelegentlich die Hand aus. Ein von ihm und Kumpel Ficsur verübter Raubüberfall schlägt fehl, so dass er sich auf der Flucht vor der Polizei das Leben nimmt - ein Sachverhalt, der freilich in der Inszenierung etwas beiläufig vermittelt wird und auch als Betriebsunfall durchgehen könnte. Nach 16 Jahren von den himmlischen Ordnungskräften zwecks Seelenreinigung auf die Erde zurückgesandt, rutscht ihm (nunmehr bei der Tochter) erneut die Hand aus ...
Insgesamt ist Lunghuß und dem Bühnenbildner Tobias Schunck (die stimmigen Kostüme entwarf Cleo Niemeyer) eine sich auf das Wesentliche konzentrierende Arbeit zu bescheinigen. Wenzel Banneyer bringt weniger den Volks-fest-Don-Juan herüber, besticht jedoch als ein von Verhältnissen, die "nicht so sind", geplagtes Menschenkind. Ein den Atem verschlagendes "Solo" an brillanter, übersprudelnder Zungenfertigkeit glückt der Noch-Studentin Anna-Sophie Fritz (Marie) beim sich selbst in Szene setzenden Besuch der Freundin Julie, für die Runa Pernoda Schaefer vor allem am Grab Lilioms überzeugende Töne findet. Wunderbar Hartmut Neuber als Frau Muskat, Lilioms ehemalige Chefin und Geliebte, bei der sich der Darsteller jegliches Abgleiten ins Tuntenhafte beispielgebend versagt und dafür anrührend menschliche Nuancen einbringt. Ein komödiantisches Kabinettstück war dem eingesprungenen Dirk Lange als Ficsur zu danken, bei aller Kritik an der Figur sympathische Züge keineswegs unterschlagend. Dass die Regie übrigens den überfallenen Geldboten in der Wrestling-Arena ansiedelte, leuchtete weniger ein. Das vorzügliche Ensemble ergänzten Karl-Sebastian Liebich als ein ätzender Jünger der Spaßgesellschaft, und, gewohnt zuverlässig, Urs Rechn (Vertreter der irdischen und himmlischen Ordnungsmächte).

Joachim Weise, Blitz!, 15.05.2013


 

 

 

  Erstellt am 20.06.2015