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Anton P. Tschechow
  "Der Kirschgarten"
 
Premiere am 03. April 2004
     
 
Regie: Manuel Soubeyrand
    Bühne: Barbara Fumian
     
"Anton Tschechow gehört zu jenen Schriftstellern, deren geistige Wirkung auf das 20. Jahrhundert kaum überschätzt werden kann. Diese Berühmtheit ist allerdings eine Medaille mit zwei Seiten: Zwar steht Tschechow an prominenter Stelle auf den Spielplänen der Theater und den Lehrplänen der Schulen, gleichzeitig reduziert man ihn oft auf den Dichter jenes trostlosen russischen Provinzalltags, in dem alle Protagonisten großartige Wolkenschlösser bauen, von Zeit zu Zeit den Ruf "nach Moskau, nach Moskau" ausstoßen, sich ansonsten aber lethargisch in ihre Sessel zurücklehnen und schließlich im Suff verkommen."
Ulrich M. Schmid


Ein junges Mädchen will weg. Sie ist mit ihrer Mutter aus Paris zurückgekehrt an den Ort ihrer Kindheit, in die russische Provinz. Sie erinnert sich gern an ihre Kindheit, das Haus, den Kirschgarten. Doch nun ist alles anders. Sie ist kein kleines Mädchen mehr, obwohl sie alle noch so behandeln. Das Haus gehört ihnen nicht mehr, es soll der Schulden halber, verkauft werden. Der Kirschgarten ist nicht für die Ewigkeit gepflanzt, er soll abgeholzt werden, Platz machen für Bauland. Zeit, Abschied zu nehmen.
Die Uraufführung von Tschechows "Kirschgarten" am Moskauer Künstlertheater fand, ein halbes Jahr vor dem Tod des Dichters, vor nunmehr 100 Jahren statt. Zeit, sich zu erinnern und neu auseinander zusetzen mit einer Komödie mit tragischen Zügen.
 
Die Premiere spielten:
Ljubow Andrejewna Ranjewskaja, Gutsbesitzerin
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Anne-Else Paetzold
Anja, ihre Tochter
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Sabine Fürst
Warja, ihre Adoptovtochter
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Antje Weber
Leonid Andrejewewitsch Gajew, ihr Bruder
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Frank Höhnerbach
Jermolaj Alexejewitsch Lopachin, Kaufmann
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Tilo Krügel
Pjotr Sergejewitsch Trofimow, Student
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Stefan Wancura
Boris Borisowitsch Simjonow-Pischtschik, Gutsbesitzer
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Klaus Schleiff
Charlotta Iwanowna, Gouvernante
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Muriel Wenger
Semjon Pantelejewitsch Jepichodow, Kontorist
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Jürgen Lingmann
Dunjascha, Zimmermädchen
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Judith Raab
First, Diener
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Michael Pempelforth
Jascha, ein junger Diener
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Nils Brück
 

KRITIK:

Wird schon - wird es eben nicht
Premiere für Anton Tschechows Komödie "Der Kirschgarten" im Schauspielhaus Chemnitz

Chemnitz. Die bankrotte Ranjewskaja wirft mit Geld um sich, das sie eigentlich nicht hat. Ihr Bruder Gajew steckt sich ein Bonbon nach dem anderen in den Mund, als wolle er sich das Leben versüßen. Nur - dieser Trick funktioniert nicht. Immer wieder springen ihm die Zuckerstücke heraus. Bald ,wird nichts mehr sein, wie es war. "Der Kirschgarten", der Stolz der ganzen Gutsbesitzerfamilie wird verkauft, ohne dass einer von ihnen tatsächlich etwas tut, was es hätte verhindern können. Und wie sie aus dem fernen Paris noch einmal auf das alte Landgut gekommen sind, ziehen sie am Ende wieder hinaus - als skurrile Reisegesellschaft, die doch längst den Anschluss an die Zeit verloren hat.
Anton Tschechows letztes Stück hatte am Sonnabend in der Regie von Manuel Soubeyrand im Chemnitzer Schauspielhaus Premiere. Und zu erleben war das, was der Autor ausdrücklich präsentieren wollte: eine Komödie. Während Konstantin Stanislawski 1904 zur Uraufführung im Moskauer Künstlertheater diese Geschichte eines Untergangs zu einem Rührstück machte, was Tschechows Unmut hervorrief, begegnet man in Chemnitz Figuren, die komisch sind, weil sie mit den Umständen, auf die sie reagieren müssten, hoffnungslos überfordert sind. Sie ahnen wohl, dass sie am Ende sind. Doch statt zu handeln, träumen sie sich zurück in glücklichere Tage oder reden sich die prekäre Situation zurecht nach dem Motto: Wird schon. Wird es aber nicht. Der Termin verstreicht. Just, als man sich auf einem Ball ablenkt, gerät der Kirschgarten unter den Hammer. Aus, vorbei. Der Moment der Traurigkeit aber ist kurz. Fast scheint man erleichtert, nun nichts mehr entscheiden zu müssen.
Himmelhoch jauchzend, zu Tode betrübt - grandios spielt Anne-Else Paetzold die Gutsherrin Ranjewskaja als ein zerbrechliches Wesen, das wie ein Blatt im Wind durch die gegensätzlichsten Stimmungslagen treibt. Herrin der Lage ist sie nicht, auch wenn sie sich dauernd beschäftigt gibt. "Was sollen wir tun", fragt sie Lopachin, den Sohn eines ihrer ehemaligen Leibeigenen, der es zum erfolgreichen Kaufmann gebracht hat. Und immer wieder erklärt er es ihr: Parzellen aus dem Kirschgarten machen, sie verpachten, damit Sommerfrischler sich ein Häuschen darauf errichten. Liegt gerade völlig im Trend Nicht nur die Schulden könnten bezahlt werden, sondern auch ein angenehmes Leben. Doch unvorstellbar dieser Gedanke für die Ranjewskaja. Tilo Krügel schreit und springt herum, als sei sein Lopachin dem Wahnsinn nahe, ob dieses Ignorantentums. Er ist kein Triumphator als neuer Besitzer des Kirschgartens, in dem schon das Abholzen der Bäume beginnt, als die Alteigentümer noch im Gutshaus weilen. Er hat nur im entscheidenden Moment zugeschlagen, weil er nicht zurück, sondern nach vorn blickt.
Kraftlos und untüchtig dagegen auch Ranjewskajas Bruder Gajew, der bei Frank Höhnerbach zu einer wirklich komischen Figur wird, die nicht nur selbstverliebt und weltfremd ist, sondern auch mit Hang zum Pathos eine Lobrede an das Alte in Gestalt eines 100-jährigen Schranks hält. Verkommene Subjekte sind diese schwärmerischen Vertreter der überholten Ordnung nicht, eher rühren sie hier an in ihrer Hilflosigkeit, sich auf das Neue einzustellen, stets noch um den besten Anschein bemüht. Nicht zuletzt Firs, für dessen Darstellung Michael Pempelforth mit Bravos bedacht wurde. Der Diener, der sich kaum mehr auf den Beinen halten kann, bleibt allein im Haus zurück. Da wirkt es wie ein verschmitzter Gag, wenn er aus dem Schrank steigt, als sich tiefe Stille über das Anwesen gelegt hat. Er will und braucht sich nicht mehr in ein neues Leben zu fügen, zu dem die junge Generation des Stücks eher ungeduldig aufbricht.
Barbara Fumian kommt bei ihrer Ausstattung mit sparsamen Mitteln aus: ein stattlicher Schrank, ein paar Stühle. Hinter Plastikplanen hängt ein prachtvoller Kristalleuchter, schemenhaftes Zeichen des vergangenen Glanzes. Ansonsten gehört die Szenerie ganz dem Ensemble, das wunderbar geschlossen und nuancenreich agiert. Als schon alles In Auflösung begriffen ist, reißt der besoffene Lopachin beim Hinstürzen die Vorhänge ein. Macht nichts, er kann das bezahlen. Er ist der kommende Mann. Viel Beifall.

Uta Trinks, Freie Presse, 04.04.2004

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  Erstellt am 07.04.2004