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Eine Dramatisierung aus Leben und Werk von Stefan Wolfram
  "Kafka"
 
Premiere am 14. März 2014
     
 
Regie: Stefan Wolfram
    Ausstattung: Ricarda Knödler
    Musik/Sound: Steffan Claußner
     


Bis heute ist Kafka eine von Legenden und Anekdoten umrankte Persönlichkeit. Sein Werk gehört zu den kulturellen Errungenschaften des 20. Jahrhunderts. Der Name "Kafka" und der Begriff "kafkaesk" sind - losgelöst von seinem Werk - Synonyme für Erfahrungen von Entfremdung, Isolation und Ich-Zerfall. Die Frage nach autobiografischen Bezügen in seinem Werk ist oft diskutiert worden, und sicher sind viele immer wiederkehrende Motive privaten Ursprungs. Beispielsweise haben die Aktenberge, die Orson Welles 1962 in seiner Verfilmung von "Der Prozess" so eindrucksvoll in Szene gesetzt hat, Bezugspunkte zu Kafkas Tätigkeit als Jurist, die er Zeit seines Lebens ausgeübt hat. Ebenso ist der damit symbolisierte Alltagstrott, der den Menschen zu verschlingen droht, Kafkas eigener Lebenswelt sehr nahe. Doch Kafkas Bilder und Symbole entfalten ihren Bedeutungsreichtum nicht dadurch, dass sie privat sind, sondern dadurch, dass in ihnen gleichzeitig etwas Universelles liegt: Es sind zukunftsweisende Zeichen der Zeit. Die Verdinglichung des Menschen, soziale Kälte und Ausgrenzung sind in seinen Werken so schmerzlich eingefangen und bedrückend dargestellt, dass sie den Blick auf signifikante Probleme der Moderne freilegen.

Franz Kafka wird am 3. Juli 1883 als ältester Sohn einer bürgerlich-jüdischen Kaufmannsfamilie in Prag geboren. Zu seinen Eltern, in deren Wohnung er noch mit 31 Jahren lebt, hat Kafka ein äußerst gespanntes Verhältnis. Fast bis zu seinem Tod versucht er, diesen Konflikt zu bearbeiten. Werke wie "Das Urteil" (1913) oder "Die Verwandlung" (1915) sind geprägt von Problemen der Abhängigkeit und der psychischen Fixierung auf übermächtige Autoritäten; sein Versuch, die unerträglichen Spannungen durch einen ebenso schonungslosen wie versöhnlichen "Brief an den Vater" zu lösen, scheitern. 1917 übersiedelt er nach Zürau, zu seiner Schwester Ottla, doch auch die räumliche Trennung von den Eltern bringt keine Entspannung. Nachdem er sich im Laufe seines Lebens mehrfach ver- und entlobt hat, beginnt er 1923 ein gemeinsames Leben mit der 25-jährigen Dora Diamant. In dieser Zeit entsteht die Erzählung "Eine kleine Frau", in der Kafka das von Ängsten angefochtene neue Leben reflektiert. Die Inflation und die politischen Unruhen im Deutschen Reich sowie Kafkas sich rapide verschlechternder Gesundheitszustand veranlassen ihn, 1924 nach Prag zurückzukehren. Er verfasst sein letztes Werk "Josefine, die Sängerin, oder Das Volk der Mäuse", eine Auseinandersetzung mit der jüdischen Tradition. Obwohl Kafka verfügt, seine literarische Hinterlassenschaft "restlos und ungelesen zu verbrennen", veröffentlicht Max Brod, Kafkas Freund und wichtigster Unterstützer, postum die Romane "Der Prozess", "Das Schloss" und "Amerika" sowie weitere Fragmente, Briefe und Tagebücher.

2014 jährt sich Franz Kafkas Todestag zum 90. Mal. Für das Schauspiel Chemnitz Anlass, dieses außergewöhnlichen Dichters zu gedenken.

Text - Theater Chemnitz !!!

Die Premiere spielten:
Kafka
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Grégoire Gros
Erzähler / Max Brod / Kafkas Vater
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Ulrich Blöcher
Erzählerin / Milena / Kafkas Mutter
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Ulrike Euen
Erzählerin / Ottla / Julie
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Lysann Schläfke
Erzählerin / Felice / Dora
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Florence Matousek
 
Die Erzähler übernehmen darüber hinaus noch Rollen aus Kafkas Erzählungen und Parabeln.
 

KRITIK:

 

Eine rettende Tür - die sich nicht öffnen lässt
Das Chemnitzer Schauspiel ist mit seinem neuen Stück dem Leben und Werk von Franz Kafka auf der Spur.

Chemnitz. Träumer, Außenseiter, Rätselhafter - wer war dieser Franz Kafka? Generationen haben sich schon an dieser Frage abgearbeitet. Und weitere Generationen werden sich von seinen geheimnisvollen literarischen Werken noch faszinieren lassen - in Büchern natürlich, aber nicht selten auch auf der Bühne. So zeigt ab Mai das Plauener Theater die Insekten-Geschichte "Die Verwandlung". Im Chemnitzer Schauspielhaus kam 2009 Kafkas Erzählung "Ein Bericht für eine Akademie" auf die Kleine Bühne, und am vergangenen Freitag nun erlebte hier "Kafka" auf der Hinterbühne seine Premiere.

Stefan Wolfram nimmt sich für seine bewusst fragmentarische Spielfassung keinen einzelnen belletristischen Text Kafkas vor, sondern schneidet aus Schriftstücken der verschiedensten Art - aus Briefen, Tagebüchern und Werken, unter anderen dem Roman "Der Prozess" - ein Lebensbild zusammen, das dem Phänomen dieses außergewöhnlichen Autors zumindest nahekommen will.

Passend zu dieser Biografie die düstere Hinterbühne als Spielort. Franz Kafka leidet daran, nicht verstanden zu werden. Immer wieder schlägt ihm Ablehnung entgegen. Besonders die frostige Beziehung zu seinem Vater gilt als prägend für den jungen Mann. Wolfram entwirft Tableaus, wie man sie in Familienalben findet. Eine Lesung in der Familie beispielsweise: Der Vater lauscht in einer Art Abwehrhaltung, die Mutter mit zweifelndem Blick von unten, eine der Schwestern hockt gelangweilt am Boden - nur Ottla folgt Kafkas Worten mit staunendem Blick.

Grégoire Gros zeigt einen verletzlichen, irrlichternden jungen Mann, der als Schriftsteller wie kaum ein anderer die Verlorenheit des Menschen in der modernen Gesellschaft beschrieb. Angst, Einsamkeit, die Zumutungen eines stumpfen Alltags im Büro: Die Hauptfigur flüchtet mehrfach zum Rand der Bühne, wo eine Treppe hinaufführt, einer Tür entgegen - die sich doch nie öffnen lässt und Kafka zur Rückkehr in diese für ihn so unpassende Welt zwingt. Nicht zuletzt ist die Liebe ein überaus trauriges Kapitel seines Suchens. Dreimal ver- und entlobt er sich. Bei der letzten Verbindung mit Dora Diamant ist er schon schwer krank. Man sieht das kurzzeitig glückliche Paar als Schatten im Gegenlicht der Scheinwerfer.

Das ambitionierte Kollage-Projekt, bei dem es als Zuschauer von Vorteil ist, wenn man sich ein bisschen in Kafkas Werk auskennt, geht zwar chronologisch im Lebenslauf vor, erhebt aber keinen Anspruch auf Vollständigkeit der Stationen. Vielmehr werden hier Stimmungen der Isolation sowie Entfremdung transportiert und wegführend von Kafkas Person deren Allgemeingültigkeit assoziiert. Kafka brauchte die Kunst, um sich eine Ordnung zu schaffen, heißt es da. Manuskripte liegen überall (Bühne und Kostüme Ricarda Knödler), die nach dem Tod des Prager Autors, wie er es selbst verfügte, dem Feuer übergeben werden sollten. Sein Freund Max Brod aber sorgte dafür, dass sie der Nachwelt erhalten blieben.

Uta Trinks, Freie Presse, 18.03.2014

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Angst Fressen Seele auf
Bildgewaltig, aber Kafka kommt zu kurz

Es ist wohl nicht zu erwarten, dass eine Inszenierung über das Leben Franz Kafkas irgendetwas mit den Fragen und Verwerfungen unserer Zeit zu tun haben könnte. Und tatsächlich belässt es Autor und Regisseur Stefan Wolfram dabei, ein bisschen Allgemeinbildung zu betreiben - auch wenn das zuweilen durchaus sehenswert und erlebenswert ist. Allein schon, weil wir Zuschauer mitten ins Theater gezogen werden. Direkt auf die Bühne. Gespielt wird über uns im Turm, vor uns, um uns, aus der Unterbühne - und langsam kreist ein einsames K durch die szenische Biografie: vorbei am Elternhaus mit den drei Schwestern und dem dominanten Vater, vorbei an der stupiden Arbeit als Jurist einer Versicherungsanstalt, vorbei an vier Liebesbeziehungen, vorbei am Kampf mit der Tuberkulose, vorbei am Werk des Franz Kafka.

Grégoire Gros spielt den herausragenden deutschen Erzähler, bleibt aber von Anfang bis Ende nur ein ängstlicher Typ mit künstlicher Sprache. Keiner, der faszinieren könnte, der irgendeine glaubhafte Idee davon hätte, wie das Beamtendasein mit dem außergewöhnlichen Künstler einher geht oder wie er zu den verschiedenen Affären kommt. Fast spannender sind da die Spieler um ihn herum: Ulrich Blöcher, Ulrike Euen, Lysann Schläfke und Florence Matousek übernehmen alle Figuren, die Kafkas Leben begleiteten - von der Lieblingsschwester Ottla über seinen Freund Max Brod und die leidenschaftliche Milena bis hin zur großen Liebe Dora.

Keine Ahnung, warum Stefan Wolfram vor allem und leider nur ins Optische investiert - zu Anfang bläst eine Windmaschine unzählige Manuskriptseiten auf die Bühne, später werden Handschriften massenhaft auf Stoffbahnen und den eisernen Vorhang projiziert, aus dem Untergrund tauchen schräge Figuren auf, die aus der "Strafkolonie" zitieren... Über all diesen wunderbaren Bildern gerät jedoch das Abgründige, Spekulative, Herrliche, Geniale, Wahnsinnige... aus den Augen, was sich über Kafka aber fraglos hätte erzählen lassen. Der Mensch selbst bleibt einfach ohne Facetten - und damit wird's mitunter schlicht langweilig.

Jenny Zichner, Stadtstreicher Chemnitz, 04. 2014


 

 

  Erstellt am 20.06.2015