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Dramatische Chronik in sechs Szenen und einem Epilog
von Bernard Shaw
Deutsch von Wolfgang Hildesheimer
  "Die heilige Johanna"
 
Premiere am 06. April 2002
     
 
Regie: Manuel Soubeyrand
    Bühne: Susanne Uhl
     


"Jeanne, die sich hat die Jungfrau nennen lassen, die Lügenhafte, Bösartige, die Volksbetrügerin, Wahrsagerin, die Abergläubische, die Gotteslästerliche, Anmaßende, Irrgläubige, Prahlerische, die Götzendienerin, die Grausame, Liederliche, alle Teufel Anrufende, Abtrünnige, die Schismatikerin, die Ketzerin" - das waren die Anklagepunkte, für die Jeanne d'Arc am 30. Mai 1431 auf dem Marktplatz von Rouen öffentlich verbrannt wurde. Fünfundzwanzig Jahre später findet ein zweiter Prozess statt, in dessen Ergebnis Jeanne rehabilitiert wird. Fast fünfhundert Jahre später, im Jahre 1920, wird sie heiliggesprochen. Drei Jahre später schreibt der Ire Bernard Shaw seine Dramatische Chronik, "Die heilige Johanna", die er in der Gegenwart (Auftritt eines Herrn aus dem Jahre 1920) enden lässt. Auch wir blicken aus unserer heutigen Sicht auf das Stück, und es stellen sich Fragen: die Aufhebung der Belagerung von Orleans und die Kaiserkrönung Charles des VII. in Reims, das war die Mission mit der Johanna, bestärkt von ihren Stimmen, angetreten war. Doch sie macht weiter, ohne Rücksicht auf Verluste. Paris ist das nächste Ziel. "Du bist in den Krieg verliebt", heißt es bei Shaw. Oder Johannas Nationalitätsgedanke: "Ihr werdet den Tag erleben, an dem es keinen englischen Soldaten mehr auf französischem Boden gibt."
Ein spannender Prozess. Ein spannendes Stück Geschichte auf dem Theater.

   
 
Die Premiere spielten:
     
Robert de Baudricourt
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Jan Ole Sroka
Sein Verwalter
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Bernd Herold
Johanna
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Gritt Galisch
Bertrand de Poulengey
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Manolo de Palma
La Tremouille, Marschall von Frankreich
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Uwe Manske
Der vErzbischof von Reims
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Frank Höhnerbach
Gilles de Retz: Blaubart
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Thomas Gräßle*
Tobias D. Weber
Karl, Dauphin :später Karl VII. von Frankreich
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Anne Else Paetzold
Dunois, der Bastard von Orléans
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Michael-Paul Milow
Graf Warwick
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Antje Weber
Kaplan de Stogumber
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Thomas Martin
Pierré Cauchon, Bischof von Beauvais
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Jan Ole Sroka
Der Inquisitor, Bruder John Lemaitre
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Manolo de Palma
John D'Estivet, Domherr von Bayeux
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Bernd Herold
Bruder Martin Ladvenu
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Frank Höhnerbach
Der Scharfrichter
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Uwe Manske
Ein Englischer Soldat
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Thomas Gräßle*
Tobias D. Weber
Die vergrannte Johanna
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Susanne Weltzin**
Stimme
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Manuel Soubeyrand
Percussion / Klangwelten
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Frank Lange
Mathis Stendike
 
* Studenten der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig am Studio Chemnitz
** Mitglieder der Statisterie der Theater Chemnitz
 

KRITIK:

Jung, maßlos, unbequem
Premiere für "Die heilige Johanna" von Bernard Shaw im Schauspielhaus Chemnitz

Chemnitz. Dieser Königsanwärter ist eine Schande für sein Volk. Pleite ist er, hängt am liebsten rum, haut sich ins Bett statt die Feinde aus seinem Land zu vertreiben. Seine Hofschranzen stehen ihm in nichts nach, nur dass sie wenigsten noch Haltung bewahren und der äußeren Form genügen, während Karl sich in seinen abgetragenen Klamotten am wohlsten fühlt. Und in diese schäbige Runde tritt plötzlich ein junges Mädchen mit einer Vision: Frankreich will es retten, indem es die englischen Eroberer vertreibt und den Dauphin zum König krönt. "Die heilige Johanna", die zu diesem Zeitpunkt noch schlicht das Mädchen heißt und 1920 heilig gesprochen wurde, mischt die lethargische Gesellschaft auf, bringt sie auf Trab und wird, als ihre Dienste nicht mehr gebraucht werden und sie beginnt unbequem zu werden, aus dem Weg geräumt.
Bernard Shaws dramatische Chronik, die am Samstag im Chemnitzer Schauspielhaus ihre Premiere hatte, ist ein Stück über den erstaunlichen Aufstieg des Bauernmädchens zur Lichtgestalt und dessen jähes Ende als Hexe auf dem Scheiterhaufen. Gleichzeitig aber richtet Shaw die Scheinwerfer auf die Machenschaften von Staat und Kirche, die die Visionen der Jeanne d'Arc zu nutzen wissen - solange sie in ihren Kram passen.
Leider bekommt in der Inszenierung fast ausschließlich der Kopf zu tun, das Herz bleibt merkwürdig ungerührt. Es ist ein etwas spröder Abend, dessen Dramatik sich vor allem in den Dialogen entwickelt, und das macht es - zumal in der vordergründig rationalen Regie von Manuel Soubeyrand - schwer, einen emotionalen Zugang zu der Geschichte zu finden. Das Publikum sitzt vor und auf der Bühne, die Darsteller agieren mittendrin, was anfangs zwar als reizvolle Konstellation erscheint, sich aber nicht immer als vorteilhaft erweist. So leidet die Verständlichkeit, wenn der Text zur jeweils anderen Zuschauerseite hin gesprochen wird, und auch der Spielraum der Mimen wirkt eingeschränkt.
Man erfährt überhaupt wenig von den meisten Figuren, Stand und politisches Kalkül allenfalls und der Hang, sich aus Verantwortung und Schuld herauszumogeln. Ausgenommen der behäbig-selbstzufriedene Dauphin und spätere König Karl VII. von Frankreich, er kommt bei Anne Else Paetzold so richtig lebendig auf die Bühne. Sie hat darstellerisch treffliche Momente, etwa wenn sie den viel zu großen Krönungsmantel (die Ausstattung von Susanne Uhl lässt mehrere zeitliche Deutungen zu) rafft oder vor Angst an den Fingernägeln knabbert.
Gritt Galisch als Johanna zeigt zunächst wunderbar, wie das naive und gleichzeitig vor Tatendrang fast berstende Mädchen sich ihren Weg bahnt. Sie selbst ist wie ein Überraschungsangriff auf ein erstarrtes System - trippelnd, ständig hüpfend, als wolle sie sich nie dauerhaft auf dem Boden dieser Welt niederlassen. Doch eben das auch wird der Heldin zum Verhängnis, denn sie hat nur ihre "Stimmen", die im Grunde auch nichts anderes sagen, als einem der gesunde Menschenverstand eingeben kann, und doch ist es eben nicht dieser, der die Welt regiert. Gegen das reale Macht-Dickicht, in dem selbst die Erzfeinde England und Frankreich zusammenwirken, ist sie hilflos. Gritt Galisch bringt das Ungeheuerliche, das diese Johanna bewirkt und ihrer Umwelt zugleich zumutet in ihrer Maßlosigkeit, in einem expressiven Körperspiel zum Ausdruck, das insgesamt jedoch zu wenige Schattierungen aufweist.

Uta Trinks, Freie Presse, 7.4.2002

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Und es gibt sie doch

Dass der Krieg kein Geschäft für Männer ist, scheint Manuel Soubeyrand seinem Publikum vor Augen führen zu wollen. Wie die historische Jeanne d'Arc Frankreich von der Belagerung der Engländer befreit, ist eine wohl allgemein bekannte Geschichte. In Chemnitz siegt diese Frau an der Spitze eines Heeres jedoch nicht nur über Männer, sonder auch über ihresgleichen. Soubeyrand lässt die Gegner des nationalen Konflikts, den schwachen französischen Dauphin und den kühl-strategischen Engländer Warwick, von Schauspielerinnen spielen. Frauen an die Macht? Nicht wirklich. Denn humanere Regierungsformen finden sich in keiner der gezeigten Herrschaftsweisen, und selbst die Heilige kann hier nicht als Leitbild herhalten. Dennoch, sie ist die einzig Aufrichtige im Sumpf der Realpolitik. Wenn sie gleich zu Beginn bei einem französischen Edelmann und dessen Verwalter um Geleit und Empfehlung für die Reise zum Dauphin bittet, offenbaren sich diese Unterschiede der inneren Haltung in der Physis. Während man sich am Hof nur noch auf allen Vieren kriechend fortbewegt, steht Johanna aufrecht: Ihr ganzer Körper unter Spannung, Kopf und Schultern nach vom geneigt, die Arme angewinkelt, als stemme sie sich mit aller Kraft gegen einen Widerstand. Die Beine fest auf dem Boden, mit den Füßen auf Schulterbreite stehend, wirkt ihr Körper eher wie der eines Mannes. Die Körper der Männer dagegen wie die von Schlangen, in Bodenlöchern abtauchend und wieder hervorkriechend. Auch in Johannas Kleidung, die sie später am Hofe gegen eine " Rüstung" eintauschen wird, spiegelt sich Kampfeslust. Ein Amazonenkostüm hat sie sich zu Hause gebastelt. Das Shirt bedeckt nur eine Brust, darunter ein Hemdchen, Lederhosen, Stiefel, die Oberarme mit schwarzen und roten Ringen geschmückt. Überhaupt scheint Griff Galisch als Johanna die einzige zu sein, deren Wesen noch getrieben ist, deren Handlungen die anderen treiben. Kein Moment, in dem sie ruht, wie in einem Käfig gefangen läuft sie ständig auf und ab. Wenn sie erzählt, bebt der ganze Oberkörper, gestikulieren die Arme wie wild. Da ist was in diesem Mädchen, das brodelt und sich Bahn zu brechen versucht, während um sie herum die träge Zone der Ernüchterung alles erlahmen lässt. Diese Unbedingtheit, diese mitreißende Kraft ist es auch, welche später Dauphin und Erzbischof überzeugen wird, selbst wenn sie Johannas Beweggründe nicht teilen. Frankreich und Gott sind für die da oben nur Mittel zur Ideologie, ihr Fortbestehen nicht nationales oder seelisches Anliegen, sondern pure Machtsicherung. Johannas Verve wird gebraucht, wo sich diese Begriffe massenwirksam einsetzen lassen, ihr Glauben wandelt sich in den Köpfen der anderen zu Propaganda. Wunder inszeniert man, sagt der Erzbischof von Reims; dass sie nicht ohne seine Interpretationshilfe geschehen, weiß er sehr wohl. Und so ist Gritt Galischs Johanna folgerichtig nicht die Beseelte, sondern die Besessene. Eine Frau, deren Wahn man für die Mobilisierung des Mobs gebrauchen kann, zur Stärkung der kampfesmüden Gemüter. Gott selbst wohnt in Johanna genauso wenig wie in der Kirche oder im Erzbischof. Für die Fürsten dagegen gilt es, den Lebensstandard zu verteidigen. Ihr Verhalten verrät die Dekadenz und Degeneriertheit einer satten, verweichlichten und schwachen Schicht. Sie stürzen zwischen Infantilität, Trotz, Senilität und Exaltiertheit hin und her, als gäbe es keine Zwischentöne auf dieser Skala des abnormal Asozialen. Die Kostüme von Susanne Uhl unterstreichen diese Lesart. Uhl kleidet die Figuren in eine bühnenüberhöhte Ästhetik der dekadenten 8oer Jahre: rot und schwarz die Farben, viel Gummi, Leder, Lack und Kajal, Krawatten, bodenlange Mäntel, Tüllröckchen über Hosen, Gewänder halb Jackett und halb Mantel, alles asymmetrisch und in mehreren Lagen getragen - ein Mix der exzentrischen und verkleidenden Mode der verschiedenen 8oer-Jahre-Musikstile. Wie Panzer, die die zartbesaiteten Egos beschützen, wirken diese Kostüme neben der körperbetonten, verletzbar machenden Kleidung Johannas. Mit ihren bauch und armfreien Shirts, den hüfthohen Lederhosen und den roten Bändern, die in ihr kurzes Haar geflochten sind, sieht Gritt Galisch aus wie ein erfrischend direktes und agiles Kind der 90ger ein Girlie irgendwo zwischen Heike Makatsch und Tank-Gin. Wo jene allerdings Witz, Schlagfertigkeit und Frauenpower ins Felde führten, sitzt bei Johanna die Eingebung, die ihr eher die Rechtschaffenheit einer Musterschülerin verleiht. Das Kämpferische paart sie mit der Ehrlichkeit, Fanatismus ersetzt Cleverness. Sie sei verliebt in die Religion und den Krieg, wird ihr vorgeworfen, und dies trifft den Kern. Ob ihr Handeln wirklich gottgeführt ist, gibt diese Johanna nie preis. Sie ist Spielball der Politik. Erfrischender Gegenpol in einer durch und durch kranken und verkrüppelten Welt, so dass man ihr Wahn und Fanatismus auch verzeihen möchte. Hauptsache, es lebt noch in einem drin. Die Ruhe, die Beseeltheit, die man dieser Figur gern von Anfang an unterstellen möchte, findet Johanna erst nach ihrem Tod. 25 Jahre später und durch die heilige Kirche rehabilitiert, erscheint sie mit anderen Geistern ihrer Zeit am Krankenbett des durch sie zum König Aufgestiegenen. Im langen roten Kleid und mit langen Haaren scheint sie endlich ihren Frieden gefunden zu haben. Kein Rennen mehr, kein Flehen, Agitieren oder Gestikulieren. Sie hat nun wirklich zu Gott oder ähnlichem gefunden, und dass die Welt ihr verzeiht, sie aber dennoch nicht zurückholen will, nimmt sie nunmehr gelassen. Alles weltliche Streben ist vergebens. Die vermeintliche Erleuchtung hat sie in den Tod getrieben, die wahre Erleuchtung war ihr Gewinn.

Anja Dürrschmidt , Theater der Zeit, 5/2002

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  Erstellt am 27.03.2008