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Christoph Hein
  "Himmel auf Erden"
 
Premiere am 09. Oktober 1999
     
 
Regie: Tatjana Rese
    Bühne: Eberhard Keienburg
     


Mit Komödien tun sich die Deutschen schwer. Kein Wunder bei der Geschichte dieses Landes. Wo ist das Stück, daß uns über uns selbst zum Lachen bringt und uns die Begrenzung des historischen Augenblicks und seiner Konflikte bewußtmacht?
Mit "Himmel auf Erden" überrascht Christoph Hein die deutsche Theaterlandschaft. Das Stück ist nun keineswegs das, was man eine Epochenkomödie nennt, was auch immer von diesem Begriff übriggeblieben ist. "Himmel auf Erden" ist ein Lustspielabend der ganz anderen und merkwürdigen Art. Zwei Splitter deutscher Wirklichkeit, das sächsische Leipzig von 1968 und ein norddeutsches Dorf aus den neunziger Jahren, stehen sich hypothetisch gegenüber und tragen eigentlich einen ungleichen Kampf miteinander aus. Aber gerade ihre Differenz eröffnet auf den zweiten Blick aktuelle Fragen nach der Erzählbarkeit von Geschichte jenseits ideologischer Diskurse.
"Himmel auf Erden" ist ein Lustspiel, geboren aus dem Geist sprachlichen Humors und regionaler Dialekte. Christoph Hein zeigt, daß "große Geschichte" auf dem Theater auch im vermeintlich Banalen plastisch werden kann und nicht bierernst und metaphysisch daherkommen muß.
   
Teil 1 - "Zaungäste":
An einem Mai-Nachmittag sitzen Lotte und Luise nach der Beerdigung von Lottes Mann in einem Café. Was draußen inzwischen passiert, wo sich Studenten in stillem Protest hingesetzt haben und singen, um die angekündigte Sprengung der Universitätskirche zu verhindern, interessiert die beiden nur beiläufig. Denn auch nach mehreren Anläufen und vielen Pfefferminzlikörchen hat Lotte immer noch nicht herausbekommen,
in welch zweifelhaften Beziehungen ihr verstorbener Willi zur besten Freundin Luise stand. Die Aufmerksamkeit der wenigen anderen Gäste gilt freilich dem Geschehen hinter der Fensterscheibe. Dabei tut sich der Typ mit Anorak und Stoffbeutel hervor, den die beiden Frauen lägst als "Geheimen" ausgemacht haben.
   
Die Premiere spielten:
Lotte, ältere Witwe
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Anne-Else Paetzold
Luise, ihre Freundin
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Anke Fleuter
Muschkowski, Rentner
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Klaus Schleiff
Konstantin, Kellner
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Uwe Manske
Berger, jüngerer Mann
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Sven-Erik Just
   

   
Teil 2 - "Himmel auf Erden":
In einem mecklenburgischen Dorf hat der Zimmermann Horst den Maler Heinz nach einem kleinen Richtfestbesäufnis schon morgens in eine Bar abgeschleppt, wo halbnackte "Meechens" 24 Stunden mit dem Hintern wackeln sollen. Doch die betagte Barfrau ist beim Saubermachen, die "Exotin" Yvonne stammt aus nächster Nähe, und Heinz hat es ja schon vorher gewußt: fremde Weiber kosten nur.
   
Die Premiere spielten:
Horst, Zimmermann
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Günter Zschäckel
Heinz, Maurer
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Thomas Martin
Yvonne, Tänzerin der Himmel-auf-Erden-Bar
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Heike Meyer
Elsa, Faktotum der Himmel-auf Erden-Bar
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Ursula-Rosamaria Gottert
   

KRITIK:

"(...) Hein, der bekanntlich das Wesentliche im Unspektakulären aufzuspüren weiß, sollte man nicht unterschätzen. Die in künstlich oder zufällig (z.B. durch das vereintdeutsche Füllsel "halt") angereicherten Dialekten geschriebenen Texte sind geprägt von analytischer Schärfe, hintergründiger Polemik und einer provokant berechnenden Dramaturgie. Die funktioniert zweifellos. Und sei es nur in dem simplen Nachweis, daß der Mensch lieber über Schwächen lacht, die sich in fremder Mundart offenbaren und so am Ende vielleicht genau den entrüsteten Kleinbürger abgibt, der vorgeführt werden soll. Doch die Attacke gegen neue Mythen entbehrt auf der Bühne zwingender Konsequenz, mehr noch, hier wird eine Art Dekonstruktion vorgeführt: Biographien, aus denen das Geschichtliche flieht (...)"

Tomas Petzold, Dresdner Neueste Nachrichten, 11. 10. 99

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"(...) Schnell ist klar, was Hein mit seiner dramatischen Petitesse beabsichtigt hat: Einen kleinen Ausschnitt aus der Alltagswirklichkeit der DDR möglichst wahrhaftig und unideologisch zu beschreiben. Um die Authentizität noch zu steigern, hat er seinen Figuren ein künstliches Sächsisch in den Mund gelegt, was dem Ganzen einen wenig vorteilhaften Stich ins Volkstheaterhafte gibt (...) Ihr (Tatjana Reses, Anm. d. R.) dankbarstes Versuchskaninchen ist dabei Sven-Erik Just, der in seinen seltenen ruhigen Momenten das Auffällig-Unauffällige des Stasi-Fußvolks recht genau trifft, aber meistens dazu gezwungen wird, sich beim Lauschen so weit vorzubeugen, bis er vom Stuhl kippt (...)"

Matthias Ehlert, Frankfurter Allgemeine Zeitung, 11. 10. 99

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"(...) Die zwei Damen sind auf dem Heimweg von der Beerdigung von Lottes Mann zufällig auf einen Fensterplatz geraten. Nun schauen sie der "Demonschtration", gegen die geplante Sprengung der Paulikirche zu, und mit ihnen gucken und räsonnieren der Kellner, ein Rentner und ein "Geheimer". Wirklich interessiert sind aber alle nur an ihren privaten Problemen (...) Alle Figuren, ob der weltkriegserfahrene kommentierende Rentner oder der eifernde Spitzel, sind liebevoll ausgepinselt. Zwar mit Verständnis, aber nicht mit Einverständnis. Hein verurteilt nicht, er beschreibt: passive Zuschauer, ob sie sticheln oder sich ereifern. Heins pointierter, sprachlich souveräner Text stellt seine Pointen nicht aus, sondern entwickelt sie, aus Figurenhaltungen vor einem kenntnisreich lachfreudigen Chemnitzer Publikum (...) "Himmel auf Erden", der zweite Einakter, spielt in einem mecklenburgischen Dorf in unseren Tagen (...) Statt sächsisch wird hier ein kunstvoller norddeutscher Dialekt gesprochen. Die groteske Darstellungsweise bleibt gleich, und doch wirkt der "Himmel auf Erden" witz- und spannungslos. Sein Problem: Wenn Klischees zu sehr stimmen, dann beschreiben sie nichts mehr (...)"

Hartmut Krug, Die Welt, 11. 10. 99

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"(...) Geschichte präpariert Christoph Hein in seinem zweiteiligen Lustspiel "Himmel auf Erden" als einen Prozess, der sich von Menschen gelöst hat (...) Beteiligtsein, an welchem Vorgang auch immer, findet nicht mehr statt (...) Aber Hein ist nicht zornig, er nimmt seinen Befund ohne Trauer, ohne Betroffenheit zur Kenntnis, bekennt sich zur Banalität als dem Gegebenen. Orte der gespaltenen, abgewehrten Realitätserfahrung sind ein Leipziger Café, "an einem Nachmittag Ende Mai 1968", und eine "Bar in einem norddeutschen Dorf, Gegenwart" (...) Und da setzte Tatjana Rese, die Regisseurin der Chemnitzer Uraufführung an. Sie lädt den Text mit noch mehr Dreistigkeit auf, haut Klamottiges auf die Bühne, daß die Fetzen fliegen (...)"

Christoph Funke, Tagesspiegel, 12. 10. 99


   

 

 

 

  Erstellt am 07.12.2000