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Arthur Miller
  "Hexenjagd"
  Deutsch von Hannelene Limpach
und Dietrich Hilsdorf
 
Premiere am 25. Oktober 2003
     
 
Regie: Carsten Knödler
    Ausstattung: Ricarda Knödler / Frank Heublein
    Musik: Steffan Claußner
     


Pastor Parris entdeckt eines Nachts, wie seine Tochter Betty, seine Nichte Abigail und andere junge Mädchen im Wald zu fremdartiger Musik seltsame Tänze aufführen.
Am nächsten Morgen liegt seine Tochter mit starren Augen und nicht ansprechbar im Bett. Dafür gibt es nur eine Erklärung: der Teufel muss im Spiel sein. Vom herbeigerufenen Hexenspezialist Pastor HaIe in die Enge getrieben, fangen die Mädchen an, Menschen der Hexerei zu beschuldigen. Nie zuvor sind sie so ernst genommen worden wie jetzt. Ein regelrechter Hexenwahn bricht aus. Jeder bezichtigt jeden, schon eine hingeworfene unbedachte Bemerkung führt zur Verhaftung und damit zum Tod. Ist dieser Amoklauf noch zu bändigen?
 
"Ich wünsche mir die Möglichkeit, ein aggressives Stück zu schreiben. Es sollte aus dem Morast des Subjektivismus jenen einen, ganz bestimmten, schleichenden Prozess ans Licht bringen, durch den sich erweist, dass die Sünde des gesellschaftlichen Terrors darin besteht, den Menschen seines Gewissens zu berauben und damit seiner Persönlichkeit." Arthur Miller
Die Premiere spielten:
Reverend Samuel Parris
-
Tobias D. Weber
Abigail Williams
-
Sabine Fürst
Ann Putnam
-
Anke Fleuter
Thomas Putnam
-
Stefan Schweninger
Mary Warren
-
Carola Sigg
John Proctor
-
Tilo Krügel
Rebecca Nurse
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Anne - Else Paetzold
Giles Corey
-
Klaus Schleiff
Reverend John Haie
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Michael Pempelforth
Elisabeth Proctor
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Judith Raab
Ezekiel Cheever
-
Stefan Schweninger
Danforth, Stellvertreter des Gouverneurs
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Nils Brück
Gerichtsschreiberin Willard
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Anke Fleuter
Betty Parris
-
Juliane Anna Pfeifer
Susanna Wallcott
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Claudia Philipp
Mercy Lewis
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Julia Friede*/ Claudia Rodel*
Musiker
-
Steffan Claußner
 
* Mitglieder des Studio W.M.
 

KRITIK:

Ein zartes Wesen als eiskalter Racheengel
Hochdramatisch und brillant gespielt: Arthur Millers Drama "Hexenjagd" als Beitrag zum Kulturfestival "Begegnungen" in Chemnitz

Für Pastor Parris schrillen die Alarmglocken, als eines Morgens seine Nichte Betty nicht ansprechbar im Bett liegt. Freilich - es gibt eine natürliche Erklärung für ihren sonderbaren Zustand. Das Kind hat sich ganz furchtbar erschreckt am Vorabend. Doch man schreibt das Jahr 1692, und schnell steht die Frage im Raum: Ist hier vielleicht der Teufel im Spiel? Dabei war es nichts als Neugier und Spaß am Verborgenen, Geheimnisvollen, dass Betty, ihre Cousine Abigail und andere Mädchen in den Wald zogen, um nach fremdartiger Musik zu tanzen. Eine von ihnen ließ die Kleider fallen, zufällig beobachtet von Pastor Parris. Kreischend zerstob der Reigen. Na und? Doch so einfach ist das nicht. Es sind seltsame Zeiten, da in allem ein Zeichen gesehen wird. Und so dauert es nicht lange, bis in der kleinen Stadt eine regelrechte "Hexenjagd" beginnt.
Arthur Millers 1953 in New York uraufgeführtes Drama, das vor dem Hintergrund der berüchtigten McCarthy-Ära entstand, ist jetzt als psychologisch ausgefeilter, überaus spannender Krimi im Chemnitzer Schauspielhaus zu erleben. Viel Beifall gab es vom Premierenpublikum am Sonnabend im Rahmen des Kulturfestivals "Begegnungen" für die Inszenierung von Carsten Knödler. In der spartanischen Ausstattung von Frank Heublein und den nahezu zeitlos-schlichten Kostümen von Ricarda Knödler entfaltet sich ein Spiel, das die historisch verbürgten Tatsachen der Geschichte zwar mitdenken lässt, vielmehr aber in den Vordergrund stellt, warum die Lage in dieser Gemeinde außer Kontrolle gerät, wo die Ursachen für Massenhysterie und Unterdrückung mit verheerenden Folgen zu suchen sind.
Carsten Knödler setzt vor allem auf eine präzise Figurenführung, bis in die kleinsten Rollen hinein. Und er kann sich auf ein exzellent agierendes Ensemble verlassen. John Proctor (Tilo Krügel) wurde einst schwach bei Abigails Reizen. Jetzt kämpft er um seine Ehe mit Elisabeth (Judith Raab). Doch die nun abgewiesene, enttäuschte Abigail (Sabine Fürst), ein zartes, schönes Wesen, entpuppt sich unversehens als eiskalter Racheengel. Sie und die anderen Mädchen spüren, welche Macht sie ausüben können. Beschuldigungen sind schnell ausgesprochen. Es reicht in dieser aufgeheizten Situation schon, wenn jemand "erwähnt" wird. Wie bei einer grassierenden Seuche greifen die Verdächtigungen um sich. Die Mädchen fühlen und nehmen sich wichtig, bald ist das Gefängnis voll, manch unliebsamer Nachbar angeklagt. In dieser diffusen Situation scheint die Vernunft des einzelnen keine Chance mehr zu haben. Marie(Carola Sigg), die vor Gericht einiges geraderücken könnte, hält dem Druck der Gruppe um Abigail nicht stand. Das Gewissen ist längst keine Privatsache mehr.
Die Nöte und inneren Konflikte der Figuren - das ist alles hochdramatisch und sehr differenziert zu erleben, ohne Schwarzweiß-Malerei. Ängste, Machtgier, Intoleranz schüren eine Atmosphäre des Schreckens, in der der religiöse Eiferer und amtsgeile Pastor Parris (Tobias D. Weber) sowie der sich allmächtig gebärdende, gnadenlose Stellvertreter des Gouverneurs (Nils Brück) leichtes Spiel haben. Pastor Hale (Michael Pempelforth) dagegen, zunächst gerufen, um als erfahrener Exorzist die merkwürdigen Vorfälle aufzuklären, hat später mit seinem verzweifelten Appell zur Besonnenheit keine Chance. Das Karussell scheint eine Eigendynamik erreicht zu haben, die nicht zu stoppen ist. Erst als John Proctor aufrecht in den Tod geht, sich nicht mit einem falschen Geständnis zu retten versucht, ist der Bann gebrochen.

Das war packendes, großes Theater mit einem brillanten Ensemble.

Uta Trinks, Freie Presse, 27.10.2003

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Hängt sie hoch!
Überzeugende Waidgenossen bei Chemnitzer ,Hexenjagd‘

Mit einem kräftigen „Halleluja“ bläst Regisseur Carsten Knödler zur „Hexenjagd“ von Arthur Miller. Premiere war am Sonnabend im Schauspielhaus: Fünf blonde Biester reden schlecht Zeugnis über andere, viele reden besseren Wissens, alle reden von Recht und Gott. Zwei Leutchen reden am Ende gar nicht mehr, weil sie am Galgen hängen.

So soll es gewesen sein, 1692 in Salem. Die Chemnitzer Jagdgenossen könnten aus jeder Zeit stammen: ein barbäuchiger Henkersbüttel aus dem Mittelalter, ein glatzköpfiger Richter wie vom so genannten „Volksgerichtshof“, ein einfacher Mann im Trenchcoat, dünne Kleidchen, Hütchen. Knödler hat auf karger Bühne (mal Kirchenschiff, mal Richtstätte mit Treppe ins Nichts) die Personen vor der Flinte, die es immer gibt: die Verleumder, Quatschtanten, Amtsmissbraucher, Gesetzesbuchstabierer, die jedem und allen dienenden Charakterschweine - all die, die der Menschenwürde seit jeher an den Kragen wollen.
Knödlers Jagd zwischen Wahrheit und Lüge ist gespickt mit raffinierten Geräuscheffekten, Chorälen und mystisch-bedrohlicher Livemusik (Steffan Claußner). Zunehmend spannendes Theater, ernsthaft, zum Genauhinhören - vor allem beeindruckend in stillen Szenen mit den überzeugenden Waidgenossen Michael Pempelforth (wie in die Soutane geboren und mit inquisitorischer Frömmelei), Anne-Else Paetzold (bewegende Auftritte, bei denen sogar die Publikumshüstler verstummen), Klaus Schleiff, Judith Raab, Nils Brück.
Aber beim besten Scheiterhaufen: Die erwartete kribbelnde Ergriffenheit bleibt rar. Dafür wehrt sich Ehemann John Proctor (mit hohem stimmlichen Einsatz Tilo Krügel) zu hysterisch gegen die todbringenden Ungerechtigkeiten und das Kindfrau-Hürchen Abigail (Debüt von Sabine Fürst), quieken die angeblichen Hexen zu gekünstelt.
„Hängt sie hoch!“ lautet der gesetzestreue Spruch zum Schluss, keiner der Gerechtigkeitsapostel fühlt sich wohl in seiner Haut, die chancenlose Wahrheit purzelt erlegt zu Boden - und auch der bemessene Beifall war wohl nicht die erhoffte Jagdbeute.

Ch. Hamann-Pönisch, Morgenpost, 27.10.2003

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Böses lauert in Salem
In Chemnitz wurde Millers "Hexenjagd" zum Triumph für Regisseur Carsten Knödler

Als die Republikaner 1998 versucht hatten, den US-Präsidenten über seine Praktikantin stolpern zu lassen, schrieb Arthur Miller den Essay "Glinton in Salem". Alte Zeiten rüttelten an ihm. Das Auftrumpfen der Konservativen, ihr Versuch, als Tugendbolde politisches Kapital zu schlagen, das Klima des Verdachts, die Medienhysterie, all das erinnerte den Humanisten an die authentischen Vorgänge in der neuenglischen Kleinstadt Salem des Jahres 1692, die er in "Hexenjagd" (1953) verarbeitet hatte. Ebenso erinnerte es ihn an McCarthys Kommunistenverhöre, den politischen Hintergrund des Dramas. Und nun diese schlüpfrige Präsidentenhatz. So sah also eine moderne Hexenjagd aus.
Beim Blick in unsere Tage wird klar, dass es nicht nötig ist, die Aktualität des Stoffs zu beschwören. Carsten Knödler (Regie) hat das beherzigt. Im Chemnitzer Schauspielhaus verkneift er sich jeden Fingerzeig auf die Gegenwart. Es dürfte mit ein Grund sein, warum seine Inszenierung von der ersten bis zur letzten Minute hoch konzentriert und packend bleibt. Überhaupt ist Knödler in Fragen der Konzeption ein Mann der Selbstbeschränkung. Er lässt den ausladenden Zweiakter, von 21 auf 16 Figuren gestrafft, ohne Mätzchen vom Blatt spielen.

Mysthisch aufgeladene Atmosphäre

"Hexenjagd" erzählt, was passiert, wenn das Böse mit Macht gesucht wird: es erscheint. Ein paar Mädchen werden erwischt, wie sie nachts im Wald tanzen, und weil zwei von ihnen danach nicht ansprechbar sind, glaubt halb Salem, der Teufel müsse im Spiel sein. Die Obrigkeit wird aktiv. Das Denunziantentum blüht auf. Die Mädchen erleben einen Machtrausch, als ihnen klar wird, dass sie ihrer Strafe entgehen, indem sie sich als Kronzeugen im Reich der Finsternis aufspielen. Bald steht halb Salem unter Hexenverdacht.
Gespielt wird das Stück auf kahler, schwarz-weißer Bühne, die links und rechts Andeutungen eines Sakralbaus aufweist. Hier belagern sich höhere Mächte. Ein hochfeiner Geräuschteppich sorgt für eine mysthisch aufgeladene Atmosphäre. Die Szenen, die sich in diesem Raum abspielen, sind immer wieder erstaunlich gut durchgearbeitet.
Der 1966 geborene Knödler, von Haus aus Schauspieler, erweist sich als Regie-Berserker, wenn es darum geht, Figuren und Konflikte zu konturieren. Er ist sagenhaft genau und bleibt doch immer am Ball. Wie er etwa die Tragödie des Framers John Proctor (Tilo Krügel) und seiner Frau Elisabeth (Judith Raab) entwickelt, Drehung für Drehung, Nuance für Nuance, das ist am deutschen Stadttheater nicht mehr alle Tage zu erleben. Viel Beifall.

Ralph Gambihler, Sächsische Zeitung, 27.10.2003

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Wer dient dem Teufel?
Das Chernnitzer Schauspiel zeigt "Hexenjagd"

Erhobenen Hauptes steht sie auf der Bühne: ein altes Weib mit weißen Haaren und klugem Geist. Sie könne sich nicht selbst verleugnen, sagt Rebecca Nurse ohne zu zögern. Kurz darauf werden alle gehängt. Alle, die ehrlichen Herzens in die Schlacht gegen Denunzianten und Dogmatiker zogen. Die verloren haben im Gefecht des reinen Gewissens gegen den gesellschaftlichen Druck. Da spielt noch einmal die Musik, weint leise der Moralist. Und die "Hexenjagd" ist vorbei.
Unter dem Eindruck der Kommunistenverfolgung in den USA schrieb Arthur Miller seine Geschichte von wahrhafter Verfolgung und niederen Rachegelüsten.
Das kleine Luder Abigail Williama ist die Nichte des Pastors, geltungssüchtig und sexuell unbefriedigt. Sie sucht den Affront mit der frommen Welt und zieht die anderen Mädchen des Ortes geschickt in ihren Bann. Schließlich beginnt sie eine unglaubliche Performance: Sie behauptet, behext zu sein. Und bezichtigt alle der Teufelsanbetung, die ihr im Wege sind. Zwischen Massenhysterie und Machtdemonstration geht es bald nicht mehr um die Wahrheit, nur noch um ein schnelles Ende, das die Mehrheit zufrieden stellt. Regisseur Karsten Knödler erzählt in poetischen Bildern, so schlicht wie wirkungsvoll. Und die Ausstatter Ricarda Knödler und Frank Heublein liefern dazu den sachlichen Rahmen: von den zeitlosen Kostümen bis zur schnörkellos-kühlen Bühne. Die Raumtemperatur bestimmen allein die Spieler. So zeigt Judith Raab die Elisabeth Proctor als ehrlich liebende Frau, die ihren Schmerz allein mit sich ausmacht und sich verschlossen den Tatsachen stellt. Auch Tilo Krügel lässt den aufrechten John Proctor mit aller Besonnenheit agieren. Und Sabine Fürst verschafft Abigail Williams etwas merkwürdig schauderhaftes. Überhaupt geht da ein überaus engagiertes Ensemble zu Werke, das dem ästhetischen Konzept der Inszenierung zu kraftvollen Szenen verhilft. Ein Abend wie ein stiller Schrei.

Jenny Zichner, Stadtstreicher Dezember 2003


 

 

  Erstellt am 19.02.2007