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Henrik Ibsen
  "Hedda Gabler"
 
Premiere am 05. Oktober 2013
     
 
Regie: Carsten Knödler
    Ausstattung: Ricarda Knödler / Frank Heublein
    Video/Musik: Steffan Claußner
     


Das Leben sollte aufregend, glamourös, wild, schön und erfolgreich sein. So jedenfalls stellt es sich die junge Generalstochter Hedda vor.

Sie heiratet daraufhin den vielversprechenden und aufstrebenden Wissenschaftler Jørgen Tesman. Doch bereits die Hochzeitsreise bringt die erste Ernüchterung. Statt aufregender, wilder Flitterwochen erlebt sie Ödnis und Langeweile an der Seite ihres frisch Vermählten. Tesman, dem eine Professur an der Universität winkt, nutzt die Flitterwochen, um mit Bienenfleiß in Archiven Material für seine wissenschaftlichen Studien zu sammeln. Doch was soll er auch tun?

Der Erfolgsdruck ist nicht zuletzt durch seine anspruchsvolle Gattin immens, und das neu erworbene Haus, welches die ökonomischen Verhältnisse des Paares bei weitem übersteigt, muss abbezahlt werden.

Die Situation spitzt sich zu, als ein alter Bekannter, Ejlert Løvborg, in der Stadt auftaucht. Der Mann mit den "genialischen" Zügen ist von jeher in allen Bereichen ein Rivale Tesmans. Løvborg, von Hedda einst begehrt, aber verschmäht, weil er aufgrund seines unsteten Lebenswandels nicht erfolgversprechend schien, hat ein bemerkenswertes und nahezu geniales Buch geschrieben, das die fleißige Arbeit von Tesman und alle Erfolgsaussichten zu durchkreuzen droht.

Tesman sieht die Hoffnungen auf seine Karriere schwinden und auch Hedda sieht ihren Lebensplan als gescheitert an, was tödliche Konsequenzen hat.

Text - Theater Chemnitz !!!

Die Premiere spielten:
Hedda Gabler
-
Florence Matousek
Jørgen Tesman
-
Philipp Otto
Ejlert Løvborg
-
Stefan Migge
Gerichtsrat Brack
-
Ulrich Lenk
Fräulein Elvstedt
-
Maria Schubert
Fräulein Juliane Tesman
-
Christine Gabsch
Berta
-
Susanne Stein
 

KRITIK:

Zwei konträre Handschriften
Mit Georg Büchner und Henrik Ibsen startet das (fast) komplett neue Chemnitzer Schauspiel in seine erste Saison.

Langeweile herrscht im Reiche Popo, und Langeweile quält die frisch verheiratete Hedda Tesman in ihrer schönen Jugendstil-Villa. Mit Georg Büchners "Leonce und Lena" sowie Henrik Ibsens "Hedda Gabler" startete am Freitag und Sonnabend das (fast) komplett neue Ensemble im Chemnitzer Schauspielhaus. Langweilig aber war das ganz und gar nicht.

...........

Tags darauf ließ der Beifall am Ende der "Hedda Gabler"-Premiere nicht auf sich warten. Richtig gutes Erzähltheater auf der großen Bühne, bei dem sich zeigt, dass die neue Darstellertruppe dem nach Leipzig abgewanderten Tross in nichts nachsteht. Man könnte diesen Abend mit dem naturalistischen Bühnenbild (Frank Heublein) fast altmodisch nennen, wenn das nicht irgendwie negativ klänge. Es war eher ein Aufatmen, dass solches Schauspielertheater überhaupt noch möglich scheint, ohne altbacken zu sein. Effekte: Fehlanzeige. Dafür bemerkenswerte Mimen und eine Regie, die sich nicht selbst ausstellt, sondern vielmehr die Figuren ernst nimmt. Carsten Knödler, der neue Chemnitzer Schauspieldirektor, schafft Tiefe, lotet die Charaktere facettenreich aus, und auch kleine Gesten zählen bei ihm.

Eine wunderbare Florence Matousek hat die Größe der Verzweiflung Heddas ebenso in ihrem Blick beziehungsweise in der Augenbraue wie den kalten, wütenden Zerstörungswillen angesichts der Erkenntnis, dass sie sich mit der Wahl des ökonomische Sicherheit verheißenden Wissenschaftlers Jørgen Tesman in einen goldenen Käfig ohne Liebe katapultiert hat. Philipp Otto gibt dem Ehemann brillant jenes spießig-unbedarfte Gepräge, das Hedda ihre Ausweglosigkeit und Feigheit so deutlich macht und sie in den Tod treibt. Bis in die kleinste Rolle wird hier fantastisch gespielt.

Lähmende Hilflosigkeit in einem übermächtigen System, Lebensträume, die nicht aufgehen - Themen, die berühren. Zu Beginn gab es ein Kontrastprogramm gänzlich verschiedener Regiehandschriften. Das alles war nicht spektakulär - vielversprechend aber auf jeden Fall.

Uta Trinks, Freie Presse, 07.10.2013

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Brust oder Schläfe
Mit zwei Klassikern eröffnete das neue Chemnitzer Schauspielensemble am Wochenende seinen Premierenreigen (sieben neue Stücke im Oktober). Das Publikum bedankte sich mit langem Applaus.

Eigentlich reicht das Hausmädchen, die gute, alte, treue Berte: Dieser verschreckte Stummfilmblick, das verhuschte Schleichen, das verschusselte Hantieren in reinlicher Schwesterntracht lassen ahnen, dass es mit ihrer Hausherrin, Carsten Knödlers "Hedda Gabler", kein gutes Ende nehmen wird. So wollte es wohl Henrik Ibsen (1828-1906), Zum Schluss fehlen in einem Wandschrank zwei Pistolen, drei Leutchen sind tot, nur Tantchen ist ganz normal sanft entschlafen.

Hat der neue Schauspielchef für das Drama aus dem vorvorigen Jahrhundert eine aufgeweckte Variante gefunden? Nun ja. Hedda Gablers Strampeln nach Geld und Ansehen, ihre Ehe mit einem filzlatschenverliebten Bücherwurm und ihre Freude am hysterischen Herumballern erzählt Knödler als richtig klassisches Kulissentheater des genüsslich Langen - und auch ein bisschen des betulich Breiten. Die Bühne (Frank Heublein) in vermüffelten Spießerbrauntönen mit bedrohlichen Bücherregalwänden, Wallewallevorhängen und Gründerzeitwintergarten bereitet nicht nur der Hedda Unwohlsein. "Verschone mich mit Hässlichem!", mosert sie und verpackt sich schließlich selbst in gruseligem Fummel. Auch beim Tantchenbesuch weht ein Hauch Altweiberparfüm über den Kostümen (Ricarda Knödler).

Wenn sich Frauen statt für den wilden Suff-Sex-Liebhaber für einen aussichts- und reichen Mann entscheiden, müssen sie auch über seine viel zu kurz gebundene Krawatte und sein ständiges "Nicht wahr?" hinwegsehen: Das tut man gern bei einem Philipp Otto als korrekt-verdusseltem Hedda-Ehemann. Florence Matousek ist eine souverän resignierende Hedda Gabler mit einem Hauch Verzweiflung in den Augen. Rundherum erfreulich klar und glaubhaft Maria Schubert (Frau Elvsted), Christine Gabsch, Susanne Stein, Stefan Migge und Ulrich Lenk.

Beeindruckend - mit Musik und Video (Steffan Claußner) - tickt die Zeit dem letzten Schuss entgegen. "Brust oder Schläfe?", fragt man ungerührt beim ersten Toten, als sich der intelligente Saufkopp Eilert Løvborg erschossen hat. Wo trifft die Inszenierung? Eher Schläfe, leider nicht ganz die Brust: eine rationale, sehr verständliche Inszenierung mit einem überzeugenden Ensemble, das sogar einer penetrant nervenden Dauerhusterin im Publikum trotzte. Langer Beifall, auch etliche begeisterte Quietscher im großen Saal.

Ch. Hamann-Pönisch, Chemnitzer Morgenpost, 04.10.2013

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Neben dem Leben
Chemnitz - eine langweilige Stadt in der Provinz? Kulturell trifft das ganze Gegenteil zu.

Mit bemerkenswerten Arbeiten startetet der Chemnitzer Theaterbetrieb in die neue Saison. Im Schauspielhaus inszenierte der neue Oberspielleiter Carsten Knödler Ibsens "Hedda Gabler" mit feinem Sinn für die Tiefe. .... Ich hatte mich müde getanzt, erklärt Ibsens Hedda Gabler, als sie sich - oder dem Leben? oder einer Freundin? - begründen soll, warum sie ihren Mann geheiratet hat. Und fast beiläufig, beinahe unbemerkt von ihr selbst, erläutert sie ihre Stellung im Kosmos, nein, zum Kosmos: Sie könne mit Dingen, die Anforderungen an sie stellen, einfach nichts anfangen. ...

Der neue Chemnitzer Oberspielleiter Carsten Knödler, der einst selbst als Schauspieler auf dieser Bühne stand, hat "Hedda Gabler" inszeniert. Die bevorzugte Pose der Regisseure, die sich und der Welt noch alles beweisen wollen, ist die Distanzerklärung. Ihr liebster Aufenthaltsort befindet sich mehr über den Stücken als in ihnen. Nichts davon bei Carsten Knödler; man erschrickt beinahe vor dem Bühnenbild (Frank Heublein), das so gar keinen Ehrgeiz der Abstraktion zu kennen scheint, wo im Gegenteil in den Bücherregalen Rücken an Rücken peinlich echte Bücher stehen, denn Hedda Gabler hat zu ihrem Verdruss einen Gelehrten geheiratet. Aber stimmt das?

Die große, die Bühne beherrschende Villen-Tür ist nicht mehr durch das erklärbar, was sie zweifellos ist: Jugendstil. Nein, das ist bereits dessen Karikatur, das ist eine Tür auf Leben und Tod, gleichsam ins Existenzialistische geschwungen. Und sage keiner, diese Tür sei Zufall, sie ist vielmehr symptomatisch für Knödlers Theater: Abstraktion als Nuance! Sich ganz dem Stück überlassen und es dabei doch leise unterwandern, es beim Spielen beobachten. Was hier so beispielhaft gelingt, ist vielleicht für ein Stadttheater lebens-, überlebenswichtig: die Zuschauer nicht vor den Kopf zu stoßen, oder doch, durchaus - wozu sonst Theater? -, aber so, dass sie es nicht sofort merken, dass es nicht wehtut. Das ist die Höflichkeit, die Demut der Regie.

Knödler beginnt mit einem weitgehend neuen Ensemble: Florence Matousek ist Hedda Gabler. Sie gibt ihr eine große Kühle, eine Herablassung, wie sie annimmt, wer glaubt, das Leben - also die Menschen - durchschaut zu haben. Hätte ihr nagelneuer Ehemann die Route der Hochzeitsreise doch weniger an den Orten der wichtigsten Bibliotheken und hoffnungsvoller Archive ausrichten sollen? Aber es ist gut, dass Matouseks Hedda Gabler anscheinend mehr treibt als nur das Missgeschick einer Hochzeitsreise. Und es ist gut, dass Philipp Otto aus dem Bücher-Gatten in jedem Augenblick mehr macht als einen gelehrtenhaften Weltfremdling, der in seinem naivem Wohlwollen vor allem einer nicht gewachsen ist: seiner Frau. Tesman besitzt im Gegensatz zu Hedda Tesman, geborene Gabler, eine Welt, die Welt seiner Arbeit. Ein solcher Zufluchtsort steht ihr nicht offen, umso folgerichtiger beginnt sie ihr ebenso absichtliches wie absichtsloses Zerstörungswerk. Absichtslos: Denn ist sie nicht nur mehr eine bloße Zuschauerin des Lebens?

Unglückliche Menschen können eine große Gefahr für ihre Umwelt sein, erst recht, wenn sie nicht ertragen, das andere noch so fest ans Leben gebunden sind. Etwa die verachtete Mitschülerin von einst (wunderbar zurückgenommen und stark zugleich: Maria Schubert) durch ihre (Arbeits-) Liebe zu dem Mann, der Hedda Gabler einst umwarb und dabei fast umkam. Diesen wiederum (latent bedingungslos: Stefan Migge) stärkt seine post-Hedda-wiedergewonnene Arbeitsfähigkeit. Knödlers Ibsen überzeugt nicht zuletzt durch die Kraft, alles Beziehungstathafte in beinahe jeder Szene ins Allgemeinere, Welthaltige zu weiten.

Hedda Gabler, am Ende eine Verderberin aus Langeweile. Manche nennen das Überhandnehmen dieser Nichtantriebslage auch Nihilismus.

Kerstin Decker, Neues Deutschland, 19.10.2013

 

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Auftakt nach Maß

... Mit "Hedda Gabler" nahm sich Knödler eines Stückes von Henrik Ibsen an, das zumindest nach 1945 nicht mehr in unserer Stadt zu sehen war. In dem kleinbürgerliche Atmosphäre (mehr Schein als Sein) trefflich wiedergebenden Bühnenbild Frank Heubleins (passend dazu die fabelhaften Kostüme Ricardo Knödlers) erzählt der Regisseur die Geschichte der einer verarmten Generalsfamilie entstammenden Titelheldin (Florence Matousek), die sich aus Gründen der sozialen Absicherung unterhalb ihres Standes und ihres intellektuellen Niveaus verheiratet, aber rasch erkennen muss, dass der vorgespiegelte Wohlstand ihres biederen Gatten Jörgen Tesman (Philipp Otto) nur auf Pump beruht. Rettung verheißt die erhoffte Professur des mittelmäßigen Ehemanns, für die allerdings Heddas vormaliger, als "enfant terrible" früher in Verruf gekommener Verehrer Lövborg (Stefan Migge) gleichfalls ins Auge gefasst wird. Nachdem Hedda begreift, dass ihr gelungener "Coup", Lövborg kaltblütig in den Tod zu treiben, nichts an ihrer Situation ändert, erschießt sie sich mit einer der vom Vater hinterlassenen Pistolen.

Wo etliche Vertreter heutigen Regietheaters nun zweifelsfrei darauf setzen würden, die Figuren zu denunzieren, sie als Karikaturen ihrer selbst der Lächerlichkeit preiszugeben, nimmt Knödler den Dichter beim Wort, begreift die Handlungsträger als ihrer Umwelt Ausgelieferte, begegnet ihnen allenfalls mit behutsamer Ironie und entwickelt auf dieser Basis eine bis ins Detail stimmige Inszenierung, die von einem wunderbaren Ensemble ebenso stimmig getragen wird. Hier einzelne Leistungen hervorzuheben, hieße, den übrigen Mitwirkenden Unrecht zu tun. So möge ein uneingeschränktes Kollektivlob, das neben den bereits Genannten auch Christine Gabsch, Maria Schubert, Susanne Stein und Ulrich Lenk einschließt, für eine weit über den Durchschnitt geglückte, in beispielhaftem Maße gefangen nehmende Aufführung genügen. ...

Dem Chemnitzer Schauspiel gelang ein Auftakt nach Maß, zu dem man es nur beglückwünschen kann.

Joachim Weise, Blitz!, 15.11.2013

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Video Theater Chemnitz

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  Erstellt am 20.06.2015