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Michail Bulgakow
  "Glückseligkeit"
  Inszenierung des Chemnitzer Studios der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig
 
Premiere am 14. März 2003
     
 
Regie: Carlos Manuel
    Bühne: Constanze Fischbeck
     


Ein arbeitsloser Ingenieur sitzt zuhause und bastelt an einer Zeitmaschine. Ein arbeitsloser Schauspieler schlägt sich mit Diebstahl durch. Ein Hausmeister füllt Karteikarten aus, um einen Sinn in sein Leben zu bekommen. Drei Leute, die keinen Platz in der Gesellschaft haben. Die Gegenwart gehört einer Funktionärin mit geregeltem Tagesablauf, Arbeit über einen Radiosender strahlt sie die nötige Portion Optimismus aus. Plötzlich geht die Zeitmaschine los:
Die Zukunft heißt Glückseligkeit mit einem Kommissar für Erfindungen und einem Direktor des Amts für Harmonie an der Spitze. Die Zeitmaschine wird mit dem Versprechen eines Lebens in Glückseligkeit beschlagnahmt.
Und die Vergangenheit? Sie kommt daher mit Iwan dem Schrecklichen und wird kurzerhand als Filmkulisse benutzt.
   

Als Bulgakow "Glückseligkeit" und "Iwan Wassiljewitsch" schrieb, war er in der Situation des Ingenieurs Rein - nutzlos (seine Stücke wurden nicht gespielt) und gefangen (seine Anträge auf Ausreise blieben unbeantwortet). Nur einmal gab es ein Telefonat mit Stalin, das in ihm die lebenslange vergebliche Hoffnung weckte, es könne ein Dialog entstehen.

Der Regisseur Carlos Manuel hat sich dieser beiden Stücke angenommen und eine eigene Fassung daraus erstellt. Neben allem Humor, der in den Stücken steckt, geht es ihm um die Frage: Wem gehört die Zukunft?

   
Die Premiere spielten:
Uljana Andrejewna, Reins Nachbarin
Anna, Radamanows Sekretärin
Miliz
-
Carmen Birk*
Frau Schpak
-
Maike Jebens*
Sinaida Michailowna, Filmschauspielerin
Aurora, Radamanows Tochter
-
Julia-Maria Köhler*
Jewgeni Nikolajewitsch Rein, Ingenieur
-
Bernhard Conrad*
Juri Miloslawski, Solist
-
Philipp Alfons Heitmann*
Iwan der Schreckliche, Zar
Radamanow, Kommissar für Erfindungen
Miliz
-
Thomas Kornack*
Bunscha Korezki, Hausverwalter
-
Özgür Platte*
Jakin, Filmregisseur
Sawwitsch, Direktor des Amts für Harmonie
Miliz
-
Sacha Tschorn*
     
* Studenten der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig am Studio Chemnitz
     

KRITIK:

Die Zukunft und der alte Zar
Eine Utopie in Trümmern: Chemnitzer Schauspielstudio zeigt "Glückseligkeit"

Chemnitz. Glückseligkeit. Eine Gesellschaft, die augenscheinlich keine Unterschiede mehr macht zwischen den Menschen. Eine Gesellschaft, die auf die Wünsche der ihr angehörenden eingestellt ist. Eine Gesellschaft, in der ein Institut für Harmonie positive Schwingungen erzeugt. Notfalls mit ein bisschen Chemie, aber wenn es der guten Sache dient ...

Macht, Geld, Frauen

Wer sich plötzlich mitten in einer Utopie wiederfindet, der muss schon bald eine traurige, eine frustrierende Entdeckung machen: Auch sie wird nur von Menschen gemacht und deshalb krankt sie an den gleichen Symptomen wie jede Gesellschaft. Sie ist bestechlich. Einen treibt das Streben nach Macht, den nächsten das Verlangen nach einer Frau, den dritten der hehre Wunsch nach Erkenntnis.
Möglicherweise ist die ideale Gesellschaft eine Idee, eine Seifenblase unserer Illusionen. Für den Ingenieur Rein (Bernhard Conrad) existiert zunächst nur eine einzige Fiktion: die der Zeit. Deshalb hat er einen Apparat konstruiert, der die Türen zu Vergangenheit und Zukunft aufstößt. Und zwar mit fatalen Folgen.
Michail Bulgakows "Glückseligkeit" stand am Freitagabend auf dem Premierenplan des Chemnitzer Schauspiels, es spielten die Studenten der Leipziger Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy", die am Chemnitzer Schauspielstudio engagiert sind und praktische Erfahrung sammeln am einzig möglichen Ort, auf der Bühne. Zwei, drei Rollen hatten die meisten zu bewältigen, dazu gehört der gewählte Stoff sicher nicht zu den einfachsten, das verdient Respekt.
Zwei Einakter Bulgakows hat Regisseur Carlos Manuel zu einem Text verschmolzen. Zum einen "Glückseligkeit" aus dem Jahre 1934, in dem der Ingenieur Rein in die Zukunft, in die bereits erwähnte klassenlose Gesellschaft reist. Zum anderen "Iwan Wassiljewitsch", das knapp zwei Jahre später entstand und mit ähnlicher Personage die Vergangenheit (und mit ihr Zar Iwan, den Schrecklichen) wiederbelebt. Das erste Stück, eigentlich ein Auftragswerk, wurde damals abgelehnt, das zweite direkt nach der Generalprobe abgesetzt.
Bulgakow dürfte sie also gekannt haben, all die Schwierigkeiten, die er seinem verzweifelten Ingenieur Rein auf den Leib schreibt. Das Leben in einem dieser gigantischen Kommunalwohnblocks, in dem ein spitzelnder Hauswart zur Tagesordnung gehört. Neugierige Nachbarinnen. Verwahrloste. Verrückte. Taschendiebe. Menschen mit Ideen, die nicht ins System passen. Die Miliz. Dazu ein allgegenwärtiger sozialistischer Aufbau-Dudelfunk mit Sendungen zur Schweinezucht und Musik, die von ferne an "Hase und Wolf" erinnert. Zu Beginn läuft dem Ingenieur die Ehefrau weg, in Glückseligkeit verliebt er sich in eine andere. Im neuen Gesellschaftssystem scheitert er, weil jene Frau die Verlobte eines Mannes mit Einfluss war, weil Glückseligkeit als Dauerzustand unerträglich ist - und weil alle sozialistischen Systeme irgendwann daran zerbrechen, das sie das Gute im Menschen zur Bedingung fürs Funktionieren machen.

Die Unerträglichkeit des Glücks

Als die Ausflügler schließlich aus der Zukunft zurückkommen, werden sie verhaftet. Ihre Utopie ist ein Trümmerhaufen, die graue Gegenwart hat sie eingeholt. Das Bühnenbild (Ausstattung: Constanze Fischbeck) hat sich im Kreis gedreht. Und sonst? Man weiß es nicht, Carlos Manuels Inszenierung will offenbar alles zeigen und konzentriert sich darum wenig. Mal lässt er die Schauspieler wie Marionetten tanzen, es knallt und kracht gewaltig, schließlich darf sich die linientreue Kommunistin in einem Fäkalmonolog erleichtern. Eine Provokation? Naja.
Aus der Riege der Eleven herauszuheben ist Maike Jebens als ebenjene Frau Schpak, die auffallende Bühnenpräsenz ausstrahlt. Manch anderem, vor allem einigen Herren, hätte mehr rhetorischer Schliff gut getan.

Katja Uhlemann, Freie Presse, 17.03.2003

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Mit viel Lust am Spielerischen
Leipziger Studenten zeigen am Schauspielstudio "Glückseligkeit" nach Bulgakow

Eine groteske Szenerie: Während Frau Schpak im Radio über Schweine plaudert, erfindet Jewgeni Nikolajewitsch Rein eine Zeitmaschine. Da plötzlich unterbricht ihn seine Frau. Sie verlangt ein bisschen Geld, um mit ihrem neuen Liebhaber durchzubrennen. Und zwar mit einem unangenehmen Besuch von Bunscha Korezki, dem Hausverwalter. Der will die Miliz von den merkwürdigen Experimenten des Ingenieurs informieren, da springt das Maschinchen an und Iwan der Schreckliche aus der Versenkung. Nun geht alles drunter und drüber: Der Erfinder, der Hausverwalter und ein Dieb, der in der Nähe zu tun hatte, landen in der Zukunft. In unerträglicher Glückseligkeit.
Neben dem skeptischen Blick auf zu viel Fortschrittseuphorie bietet die Textfassung kaum ein inhaltliches Argument für die Aufnahme ins Repertoire. Doch sie lässt einen weiten Spielraum für Phantasie, genug Anlass für Aktion. Die acht Studenten am Schauspiel-Studio Chemnitz nutzen dieses Angebot mit so viel Esprit, so viel Ausgelassenheit und Lust am Detail, dass die Inszenierung zu einem fröhlichen Faszinosum wird. Das ist nicht zuletzt Verdienst von Regisseur Carlos Manuel, der die Fassung nach den Stücken "Glückseligkeit" und "Iwan Wassiljewitsch" von Michail Bulgakow schuf. Denn neben der Verquickung dieser beiden Dramen gelang ihm auch der intelligente Witz des russischen Autors und das Gespür für komische Situationen. Immer wieder fordert er den Mut zum Hässlichen, den Ton der Selbstironie. Da findet Julia-Maria Köhler als Gattin des Ingenieurs zu einer Mischung aus Plauderton und resoluter Geste, als sie den Mann verlässt. Da präsentiert Özgür Platte den Hausverwalter als bedauernswerten Idioten mit durchtriebener Seele. Da zeigt Thomas Kornack als Iwan der Schreckliche seinen Bauch. Maike Jebens verhilft unterdessen Frau Schpak zu ebenso derben wie wollüstigen Ideen am Rande der Beherrschung. Und Bernhard Conrad lässt den Ingenieur bescheiden lächeln. Zusammen mit Carmen Birk, Philipp Alfons Heitmann und Sascha Tschorn sorgt die Inszenierung auf der Hinterbühne des Chemnitzer Schauspielhauses für Trubel. Der langanhaltende Beifall zur Premiere war redlich verdient.

Jenny Zichner , Sächsische Zeitung, 17.03.2003

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Da ich die Leistung unserer Studenten mehr als würdigen möchte, hier eine doch etwas umfangreichere

Fotosammlung

 

 

  Erstellt am 14.08.2003