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Drama von Dawn King
  "Foxfinder"
 
Premiere am 24. Februar 2017
     
 
Regie: Nora Bussenius
    Ausstattung: Sebastian Ellrich
     


   

Weit draußen auf dem Land liegt der Hof von Judith und Samuel Covey, wunderbar beschützt vor den kalten Winden in einer Kuhle der welligen Landschaft. Das vergangene Jahr war nicht leicht: Ein tragischer Todesfall und eine schlechte Ernte zehren an der Familie. Kaum, dass es wieder aufwärts geht, kündigt sich beunruhigender Besuch an. Die Regierung schickt den jungen und ehrgeizigen Foxfinder William Bloor. Er soll prüfen, warum die Coveys das diesjährige Abgabesoll nicht erfüllen können und damit die staatlichen Planungen gefährden. Der Verdacht liegt nahe, dass sie mit den gefürchteten „Füchsen“ (engl. fox) in Verbindung stehen, jenen geheimnisvollen und blutrünstigen Wesen, die zwar noch nie einer gesehen hat, die aber alle und alles bedrohen und sogar in die Träume der Menschen einzudringen vermögen.

Die Ankunft des Foxfinders wird nicht nur für die Coveys zur Bedrohung, sondern für das ganze Dorf. Existentielle Angst schleicht um die Häuser. Wen wird der Foxfinder als nächstes aufsuchen? Was wird er entdecken und melden? Wie eine Krankheit legen sich Misstrauen und Verrat in die Luft. Aber nicht alle wollen sich unterwerfen. Im Untergrund keimt Widerstand gegen den Foxfinder und die Regierung. Möglicherweise sind die „Füchse“ nur eine Erfindung zur Rechtfertigung allgegenwärtiger Überwachung. Für Samuel Covey aber gerät der Glaube an ihre Existenz mehr und mehr zur Erlösung aus seinen Schuldgefühlen. Endlich gibt es eine Ursache für all das Unglück des vergangenen Jahres. Gemeinsam mit William Bloor nimmt er den Kampf gegen die „Füchse“ auf, bis sich der Foxfinder in Judith Covey verliebt.

Die junge, preisgekrönte britische Autorin Dawn King entwirft eine gleichermaßen alltägliche wie geheimnisvolle Utopie. Unter undurchsichtigen Bedingungen verstricken sich ihre Figuren aus purer existentieller Not in die Ideologie eines totalitären Systems und machen eine Welt aus Lügen zu ihrer eigenen. – Der Feind ist tot, es lebe das Feindbild!

Text - Theater Chemnitz !!!

Die Premiere spielten:
 
Judith Covey
-
Maria Schubert
Samuel Covey
-
Andreas Manz-Kozár
Sarah Box
-
Ulrike Euen
William Bloor
-
Dominik Frötsch
Ein Junge
-
Helene Fellendorf*, Anouk Petrovitsch*
     
     
* Statisterie
 

 

Video

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KRITIK:

Die Flinte des Fanatikers
Wer Verschwörungstheorien für albern und das Postfaktische für ein Problem hält, der sollte sich unbedingt "Foxfinder" am Theater Chemnitz ansehen. Das Stück schält nämlich mit Hilfe einer fesselnden Kino- Atmosphäre deren gesammelte guten Seiten heraus: Samt der fatalen Folgen.

Genau für solche Veränderungen gängiger Perspektiven ist es nötig, das Theater: Warum sollten sogenannte "Fake News" eigentlich ein Problem sein? Weil wir das "Richtige" wissen müssen? Hilft es das weiter? Tut es ja nicht: Wir müssen schließlich davon ausgehen, fast immer von falschen Voraussetzungen auszugehen - weil wir die allermeisten Dinge nicht wissen. Gar nicht wissen können. Weil wir falsche Vorstellungen haben. Der Trick ist doch, es trotzdem hinzubekommen: Auch, wenn es schwer ist, müssen wir im Leben permanent Wege finden, die wir nicht sehen können.

Bauer Samuel Covey indes kann das nicht mehr: Er gibt sich die Schuld am Unfalltod seines fünfjährigen Sohnes und ist in eine depressive Starre verfallen - ein dunkles, traumatisches Loch, aus dem ihn auch seine viele Jahre jüngere Frau Judith nicht herausholen kann: Sie muss versuchen, für zwei zu schuften, um den gemeinsamen Hof am Leben zu halten, denn daran hängt, in einem fatal mehrfachen Sinn, die Existenz der Familie.

Das Stück "Foxfinder" setzt dieses existenzielle menschliche Drama nun in eine Endzeit-Diktatur, in der der Staat mit einem rigiden System die kurz vor dem Klimawandel-Kollaps befindliche Nahrungsmittelproduktion kontrolliert - womit die Inszenierung, die am Freitag am Schauspiel Chemnitz Premiere hatte, lieb gewonnene Einsichten auf den Kopf stellt. Da ist zum Beispiel der "Foxfinder": Der 19-jährige, ein Protofaschist, will helfen. Er ist dazu beseelt vom Wunsch, die vermeintlich schädlichen Füchse auszurotten - wird aber ob deren Existenz im Verlauf der Handlung mehr und mehr in Zweifel gestürzt. Denn der einzige Beweis für das Wirken des Bösen ist der feste Glaube daran: "Die scheinbare Abwesenheit des Fuchses ist ein Beweis für seine Anwesenheit!" Für Bauer Covey, eigentlich ein erfahrener Mann, der nur glaubt, was er in seinem Leben auch wahrhaft erfahren hat, erweist sich dieser Glaube dagegen als Rettungsanker. Indem er lernt, an den satanischen Fuchs zu glauben, kann er Schmerz und Schuld ablegen - was letztlich seiner Frau das Leben rettet: Als der Foxfinder seine Macht missbraucht, um die sexuell zwar ausgehungerte, emotional aber tief verletzte Judith gefügig zu machen, feuert Samuel seine tödliche Flinte auf den Beamten ab - er hat gelernt, auf die verordnete Weise mit den Augen des Fanatikers zu sehen und glaubt, im Foxfinder den Fuchs selbst zu erkennen. Das Postfaktische ist ein Ausweg, wenn es keinen Ausweg mehr gibt. Dann ist das Falsche richtig. Für den Moment: Am Ende ist man im Irrealen gefangen.

Der Inszenierung der Berliner Regisseurin Nora Bussenius gelingt es, die verschwommene Grenze zwischen Verschwörungstheorie, Religion und Politreligion zu zeigen. Die mit Wasser geflutete Bühne dreht sich während des gesamten Spiels und zieht als Sog in eine einfache, aber sehr feinsinnige Kulisse um eine Metallgerüst und ein schwarzes Baumskelett. Das erzeugt verblüffen effektives Kino-Flair zwischen "Goldener Kompass", "Blade Runner", "Tribute von Panem" und "1984". Ohne Brimborium ist da ein Frösteln, ein Unbehagen - schwere Symbolik hat Bussenius' sichere Hand nicht nötig. Einzige kleine Schwachstelle sind daher diverse Liedeinspielungen wie "Sag mir wo du stehst", die als sanfte Holzhammerhiebe unnötig auf das diktatorische Setting hinweisen. Dabei ist es gerade die Stärke des Stücks, nicht schon oft geführte Debatten aufzunehmen - wie auch der Tod des Kindes nicht als dramatischer Verzweiflungsquell unnötig ausgeschöpft wird.

Doch das fällt nicht ins Gewicht, da die Handlung von überzeugenden Darstellern flüssig, packend und zugänglich gespielt wird, was der aufgerissenen Projektionstiefe viel innere Wucht verleiht. Ein Höhepunkt ist die Sexszene zwischen dem Foxfinder und Judith - großartig inszeniert in Nacktanzügen, die das Motiv des verdorrten Baumes mit schwarzen Adern aufgreifen. Das ist ein schmerzlich wüster Tanz aus Verlangen und Überwältigung, ein Ringen gegeneinander wie mit sich selbst, im Grenzganz aus eleganter Choreografie und missglücktem Kampf - drängend intim und doch kein bisschen voyeuristisch.

Tim Hofmann, Freie Presse, 27.02.2017

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Wenig Licht, viel Schatten
Die Schauspielbühne dreht sich für „Foxfinder“

Es ist kalt. Düster. Beklemmend. Und es wird auch nicht besser. Die Bühne steht unter Wasser und dreht sich fortwährend: mal schneller, mal langsamer, mal vor, mal zurück. Das passt, um es vorweg zu nehmen, ganz gut zu dieser Inszenierung. Die kommt irgendwie auch nicht vom Fleck. Betroffenheitsminen wechseln mit dem Blick ins Unendliche. Gummistiefel platschen. Regenjacken bezeugen Mistwetter. Depri-Stimmung in Reinform. Und mittendrin ein Gerüst - das Haus der Conveys. Kein glückliches Zuhause, das ist offenbar. Das Paar hat den einzigen Sohn verloren und die Ernte war auch noch nie so schlecht. Schon kündigt sich ein Gesandter der Regierung an, um zu schauen, warum die zwei ihr Abgabesoll nicht erfüllen und damit die Versorgung der Bevölkerung gefährden. Kann es an den Füchsen liegen? Unberechenbare Kreaturen seien das, heißt es. Geheimnisvoll und hinterlistig. Zwar habe sie noch keiner gesehen, aber gerade das mache sie so ver dächtig. Und wenn sie den Hof und die Coveys in ihren Bann gezogen haben, dann helfe nur noch so was wie Enteignung.
Dawn Kings mehrfach ausgezeichnetes Stück spielt zwar mit einer absurden Behauptung, ist aber alles andere als irrwitzig. Totalitäre Systeme funktionieren so. Dafür gibt es genug Zeugen im Publikum. Der Staat schafft die Wahrheit. Und wenn die Verfolgten auch noch Judith, Samuel und Sarah heißen, dann bekommt das dreckige Spiel ein geradezu zynisches Moment. Doch das weckt nicht das Interesse von Regisseurin Nora Bussenius; sie konzentriert sich viel mehr auf die Installation von Bildern. Wenig beleuchteten Bildern. Wenig differenzierten Bildern. Das sieht zwar alles cool aus, langweilt aber zusehends. Nur einmal bekommt die Szenerie wirklich Kraft: Wenn Dominik Förtsch als Foxfinder sich an Coveys Ehefrau Sarah, gespielt von Maria Schubert, vergreift und sie das so vehement ablehnt wie sie es genießt. Da trägt mal die Ambivalenz dieses kleinen Gesellschaftsspiels.
Dabei hätte es zwischen den Zeilen noch viel mehr Möglichkeiten gegeben, um aufzuwühlen: die permanenten Ängste, der keimende Widerstand, die Flucht aus der Realität, Verrat und Manipulation bis hin zur Paranoia. Doch die Spieler deuten die Mechanismen nur an: sprechen, aber empören nicht. So kriecht die Endzeitstimmung nur tiefer und tiefer in die Stimmen. Resigniert jetzt schon das Theater vor permanenten gesellschaftlichen Gefahren? Nein - hoffentlich nur diese Inszenierung.

Jenny Zichner, Stadtstreicher April 2017

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  Erstellt am 12.10.2020