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Tragödie von Johann Wolfgang von Goethe
  "Faust II"
 
Premiere am 22. September 2018
     
 
Regie: Carsten Knödler
    Ausstattung: Frank Hänig, Ricarda Knödler
    Musik: Steffan Claußner
    Choreografie: Sabrina Sadowska
     


Die „kleine Welt“ der Liebe liegt in Trümmern hinter Faust. Sie hat Spuren und Wunden hinterlassen. Umso lauter schreit in ihm die Rastlosigkeit nach Vergessen, nach einem Fortkommen. Begierig stürzt er sich in die „große Welt“ der Politik, der Wirtschaft und der Macht. In diesem entfesselten Kosmos sind Raum und Zeit außer Kraft gesetzt und so reisen Faust und der zum Narren avancierte Teufel durch die Epochen und mythische Welten. Nichts scheint unmöglich: Ein künstlicher Mensch wird erschaffen, das Papiergeld erfunden. Faust wird Feldherr, expandierender Landbesitzer – Naturbändiger und Kulturschaffender. Er heiratet die schönste Frau der Welt, zeugt einen Nachkommen und verliert alles zugleich wieder, weil ihm auch das nicht reicht. Doch an Rast oder Innehalten ist nicht zu denken. Seine gnadenlose Egozentrik hat sich verselbstständigt. Der skrupellose Drang nach Macht und Herrschaft steht längst schon zwischen jeder wirklichen menschlichen Beziehung. Doch wenn nur noch Positionen, Funktionen und Mehrwert leitend sind, wo treibt der Mensch dann hin? Diese Frage aufgreifend, inszeniert Carsten Knödler mit Faust II die Fortsetzung des Fauststoffs und schickt den ewig suchenden Wissenschaftler auf eine abenteuerliche Reise mit unbestimmtem Ausgang.

Text - Theater Chemnitz !!!

Die Premiere spielten:
Faust, Astrologe
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Philipp Otto
Mephisto, Narr, Phorkyas
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Dirk Glodde
Faust (Seele), Paris
-
Marko Bullack
Kaiser, Nereus, Baucis, Not
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Christine Gabsch
Kanzler,Thales, Philemon
-
Wolfgang Adam
Heermeister, Manto, Phorkyaden, Mangel, Gott
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Susanne Stein
Schatzmeister, Wagner, Chiron
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Jan Gerrit Brüggemann
Marschalk, Phorkyaden, Helena, Spinx, Schuld
-
Andrea Zwicky
Junker, Baccalaureus, Phorkyaden, Proteus, Euphorion, Wanderer
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Dominik Puhl
Homunculus, Chorführerin/Mädchen, Sorge, Gretchen
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Seraina Leuenberger
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Damen und Herren des Ballett Chemnitz
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Isabel Dohmhardt  / Molly Gardiner
Helena Gläser  / Soo-Mi Oh
Alanna Saskia Pfeiffer  / Sandra Ehrensperger
Valeria Gambino  / Florine Fournier
Emily Grieshaber  / Savanna Haberland
Yester Mulens Garcia  / Alejandro Guindo Martin
Sascha Paar  / Emilijus Miliauskas
Michael Steven Carman  / Calvin Rüth
Ivan Cheranev / Kirill Kornilov
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KRITIK:

Kritik vom Theaterforderverein

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Zeitgeist als Bürgerversicherung?
Das Theater Chemnitz münzt den zweiten Teil von Goethes publikumsmagnetischem Klassiker "Faust" in einen furiosen Bilderbogen um. Im Subtext jedoch enthält die Inszenierung Tretminen.

"Faust I" hatte dem Chemnitzer Schauspiel ab Mai 2017 einen Besucheransturm beschert: Die von Regisseur Carsten Knödler behutsam ins Heute polierte, inhaltlich aber respektvoll traditionelle Version des Goethe-Klassikers sorgte für reißenden Kartenabsatz. Grund genug also für den Schauspielchef des Hauses, beim zweiten Teil dieses Großwerks der deutschen Klassik, der am Samstagabend Premiere hatte, von diesem Rezept nicht abzuweichen.

Auch mit "Faust II" verlässt sich Knödler erst einmal auf die schiere Kraft des gut rezitierten Textes, und das funktioniert: Macht und Sinnlichkeit der meisterlich gefügten Goethe-Worte ziehen den Besucher schnell in ihren Bann - dass der "Tragödie zweiter Teil" inhaltlich deutlich weniger leicht zu verdauen ist als der berühmtere erste und Otto-normalbesucher hier weniger Zitate mal eben parat hat, tut dem kaum einen Abbruch.

Zweites Plus: Ausstattung und Bühnenbild sind schlicht ein Fest und stecken randvoll mit starken Ideen. Mal werden mit bewusst einfachen Mitteln eindringliche Effekte erzielt - etwa, wenn ein Vorhang aus Ketten im nebulös farbigen Licht wie das berühmte Datenflimmern aus dem Kinofilm "Matrix" wirkt. Dann wieder gibt es sehr aufwändige Nebensächlichkeiten, zum Beispiel die wundervoll theaterromantische Tuchdarstellung des Meeres oder die als Schattenspiel ausgeführte Randgeschichte von Fausts Strandaneignung zu Beginn des fünften Aktes. Stark auch das kunstvoll implantierte Ballett, dessen mal fiebrige, mal zeitlupenhafte Choreografien oft eine Art bewegte Kulisse bilden, die in die Handlung oszilliert, aber nie vordergründig ausgestellt wird, sondern sich mit dem Sprechensemble mischt. Das ist ziemlich großes Kino.

Das erlaubt es den Schauspielern, über weite Strecken klassisch zu deklamieren, ohne das daraus je langweiliges Rampentheater wird. Ganz im Gegenteil: Atmosphäre und Schauwert der Inszenierung sind immens, stützen dabei die großen Reime gekonnt. Die Kostümierung wechselt immer passend zwischen stylisch modern und fantasievoll opulent. Etliche anspielungsreiche Kleinigkeiten wie das fast unscheinbar eingeblendete Bitcoin-Logo in der Gelddruck-Szene des ersten Aktes oder ein Pentagramm als Schlüssel zu den Müttern dürften zudem sicherstellen, dass Insider aller Interessensrichtungen an diesem "Faust II" auch mehrfach Vergnügen finden. Einem weiteren Kassenschlager steht so nichts im Wege.

Ein Beleg also, wie gut bildungsbürgerliches Theater auch im 21. Jahrhundert noch funktionieren kann, zeitlos gültig und lehrreich? Nicht ganz, denn der Regisseur vertraut mit seinen sparsamen modernen Andeutungen darauf, dass ein mündiger Zuschauer mit aktuellem Interesse im klassischen Text wohl automatisch seine Antworten findet, so er welche sucht. Das würde vielleicht funktionieren, risse das Stück nicht zufällig so drängende Parallelen ins Heute. Tut es aber: Goethe macht ja nicht nur die abschließende Frage einer freien Gesellschaft aller Menschen auf, sondern verhandel vor allem die Verbindung von Kulturen, konkret der Antike mit der deutschen Klassik. Sein Gewebe aus griechischer Mythologie, Wissenschaft seiner Zeit und nordischem Pantheon taugt ergo sehr schlecht für Gimmicks: Man kommt also eigentlich nicht daran vorbei, dass Griechenland auch Wiege unserer deutschen Demokratie ist, die aktuell vom Populismus derart im Schwitzkasten gehalten wird. Knödler versucht es trotzdem, und dabei wirkt es krude, wenn etwa die Textpassage "Das Griechenvolk, es taugte nie recht viel" dick als billiger Lacher herausstrichen ist oder die antike Kultur irgendwie als okkulter Flammenkult erscheint. Der gierige Kaiser ist kommentarlos eine Frau, in der man mit wenig Fantasie May oder Merkel sehen darf, und beim Homunkulus kann man zwischen Amazon-Alexa oder schlechtem Scherz wählen.

Im Schlussmonolog, der beide Teile vereinen soll, ist's gar aus mit Tradition: Die Zeilen "Den faulen Pfuhl auch abzuzieh'n / das Letzte wär' das Höchsterrungene" fehlten. Wenn es aktiv gegen Ungleichheit geht, war Goethe damals, zur Teenager-Zeit von Karl Marx, also schon weiter? Derlei Treibenlassen des Bildungsbürgers im Zeitgeist ergibt einen bitteren Beigeschmack, den selbst der klassisch schmierig-teuflische Mephisto, irgendwo zwischen Sheev Palpatine und dem Fuchs aus Marschaks "Tierhäuschen", nicht wegscharwenzelt. Auch, wenn Philipp Otto für sein absolut großartiges Spiel verdient den heftigsten Premierenapplaus einheimste.

Tim Hofmann, Freie Presse, 23.09.2018

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Die Gesellschaft zerrissen, die Politik am Ende: Goethes "Faust" so aktuell wie nie
Nach der gefeierten Premiere von Johann Wolfgang von Goethes "Faust I" im Mai 2017 hat sich Schauspieldirektor Carsten Knödler nun der Fortsetzung angenommen und trifft damit den Nerv der Zeit. Am Samstag feierte "Faust, Der Tragödie zweiter Teil" im Schauspielhaus (Zieschestraße) Premiere.

Die Ereignisse aus Teil eins haben bei Faust (Philipp Otto) Spuren hinterlassen, nun stürzt er sich in die Welt der Politik, Wirtschaft und Macht.

Das Stück setzt nach dem Tod Gretchens’ ein. Die Ereignisse aus Teil eins haben Spuren bei Faust hinterlassen und so stürzt er sich am Kaiserhof in die Welt der Politik, Wirtschaft und Macht. Raum und Zeit werden außer Kraft gesetzt: Faust wird Feldherr, Landbesitzer und heiratet die schönste Frau der Welt. Kaum hat er alles erreicht, verliert es schon wieder, weil ihm nichts reicht. Mephisto ist derweil zum Narren avanciert, der zu alter Stärke findet, aber am Ende als Verlierer dasteht.

Die Inszenierung schließt direkt an den ersten Teil an. Carsten Knödler setzt dabei auf die gleichen Darsteller wie in Teil eins und inszeniert das rund dreistündige Stück fantasievoll und abwechslungsreich.

Philipp Otto brilliert wieder als Faust und Dirk Glodde vermag als Mephisto das Publikum für sich einzunehmen. Neu dabei ist Marko Bullack, der Fausts Seele darstellt und eindrucksvoll das zerrissene Ich des früheren Gelehrten zeigt. Unterstützt und aufgelockert wird die Inszenierung durch Auftritte des Chemnitzer Balletts.

Auch wenn das Stück schon fast 200 Jahre alt ist, scheint es aktuell wie nie. Die Gesellschaft ist zerrissen und Umbrüche deuten sich an. Die Aktualität des Textes wird durch behutsame Symbolik im Stück unterstützt.

Das Premierenpublikum feierte das Inszenierungsteam und die Darsteller mit nicht enden wollendem Schlussapplaus.

Victoria Winkel, Chemnitzer Morgenpost, 23.09.2018

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Mephisto sticht alle aus
Das Theater Chemnitz zeigt Goethes „Faust II“ als wilden und nachdenklichen Tanz ins Verderben.

Der Teufel hat es auch nicht leicht. Um Fausts Seele zu bekommen, hat Mephisto dem gelehrten Herrn versprochen, ihm jeden Wunsch zu erfüllen. Faust kann nicht genug kriegen: Jugend, Reisen, Vergnügen, Reichtum, Macht. Jetzt verlangt er gar Helenen zum Weibe, die schönste Frau der Welt. Lässt sich um keinen Preis davon abbringen. Er stöhnt und ruft: Wo ist sie? Mephisto muss die Dame herbeischaffen.

Nach 36 Jahren ist Goethes Drama „Faust II“ wieder im Schauspiel Chemnitz zu sehen. Am Sonnabend feierte das Publikum die Premiere. Schauspieldirektor Carsten Knödler knüpft an die Inszenierung des ersten Teils an. Fragt: Wie viel Faust steckt in uns? Wie viel Vergessen und Verdrängung, wie viel Gier, Korruption, Ich-Bezogenheit? Konsequent wird in heutiger Kleidung gespielt, mit Rock, Blazer, Anzug und Krawatte. Der Hof des Kaisers mit seinen geschmeidigen Schranzen, dem permanenten Geldmangel, wo sich Übel auf Übel häuft, erinnert an aktuelle Staatsgebilde. „Auch auf Parteien, wie sie heißen, ist heutzutage kein Verlass“, meint der Schatzmeister. Die Figuren des geschickt taktierenden Kaisers und des kriegerischen Heermeisters sind mit Frauen besetzt. Kein Schelm, wer dabei an Merkel und von der Leyen denkt.

Agiert wird auf der freien und praktikablen Bühne von Frank Hänig. Im Hintergrund eine ziegelartige Wand, die sich für Luken und Türen öffnet. Nach vorn gefahren, verwandelt sich die Kulisse in Kaiserpfalz, klassische Walpurgisnacht oder Küstenlandschaft. Die fantasievollen, luftigen Kostüme von Ricarda Knödler sparen nicht an Schick und Charme. Das philosophisch reiche, in Goethes Original gut zehnstündige Stück wird in der Chemnitzer Fassung auf drei Stunden reduziert, wie allgemein üblich. Bei allem Verlust bleiben die wichtigsten Elemente erkennbar: Erfindung des Papiergeldes, Erzeugung des künstlichen Menschen, Hochzeit und Tragik der schönen Helena, Krieg der kaiserlichen Truppen, Kultivierung und Raubbau an der Natur, Ermordung des greisen Paares Philemon und Baucis, Erblindung Fausts.

Regisseur Carsten Knödler balanciert auf dem schmalen Grat von Denk- und Schauvergnügen, bringt die geläufigen Zitate, bietet Mummenschanz, Videowand und Schattenspiel, setzt auf die Kooperation mit dem Ballett des Hauses. Zehn Tänzerinnen und Tänzer kommentieren als Hofgesellschaft, Hochzeitgäste, antiker Chor, Nymphen und Soldaten das Geschehen. Mit Musik, Marschieren und Maskenspiel. Das recht durchwachsene Ensemble wird gut geführt, manche darstellerische Schwäche überspielt. Grandios die Leistung von Dirk Glodde. Sein Mephisto sticht alle aus, vorbildlich in Diktion der Sprache, als wäre er mit Knittelversen aufgewachsen. Er ist nicht teuflisch verschlagen, sondern von irdischer List und Tücke. Findig und nicht faul, rettet er sich aus jeder noch so verfahrenen Situation, hält als Narr die anderen zum Narren, ist Entertainer und spöttischer Schalk vom Dienst. Philipp Otto, bewundert viel und gern gesehen, kommt als ewig unzufriedener Macht- und Tatmensch erst spät zur Einsicht, dass er über Leichen gegangen, durch die Welt gehetzt ist und jedes Gelüst bei den Haaren ergriffen hat. Offenen Auges rannte er ins Verderben. Dieser Faust hält uns, ganz ohne Zeigefinger, den Spiegel vor das Gesicht.

Rainer Kasselt, Sächsische Zeitung, 24.09.2018

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Faust II im Schauspielhaus Chemnitz
„Faust II“ als Antwort großer Fragen – Schauspieldirektor Carsten Knödler widersteht den Ereignissen und weicht ins Altmeisterliche. Eine echte Gesellschaftsdystopie, die selbst ein Johann Wolfgang von Goethe erst posthum wagte, findet unser DNN-Autor.

Zuerst der Klippenhänger aus Teil I, der hier seit Mai 2017 läuft und läuft: Mephisto und Gott streiten sich in der Analyse von Gretchens Tod: „Sie ist gerichtet“, meint der Schweflige. „Sie ist gerettet“, der Geweihte. Tot ist tot, mag man als Agnostiker kühl meinen, so man den dahin gesunkenen traurigen Doktor Faust vergisst. Doch wir sind im Schauspielhaus zu Chemnitz, jener 875-jährigen Stadt, die vor kurzem noch als EU-Kulturhauptstadt des Ostens wohl recht weit in Führung lag, der nun allerdings eingeflogene Reporter und ferne Kommentatoren seit ein paar Wochen allerlei Adjektive anheften, während zwischen Marx-Granitkopf und Schauspielhaus viele Kerzen für drei Opfer brennen und die Menschen trauern oder dafür und dagegen demonstrieren.

Als Fausts erster Teil Premiere gefeiert wurde, galt Chemnitz noch als die lauschige Stadt der Moderne, obwohl damals schon einige Messerstechereien Opfer forderten – und zwar nicht nur direkt vorm Nischel, sondern auch oben, im anderen Park, direkt vorm Theater. Aber weil es meist unter Fremden blieb, ging es (wie allerorten üblich) ohne größeres Aufsehen vonstatten und weiter. Das ist nun hier, im Herbst 2018, anders, aber Schauspieldirektor Carsten Knödler, der sich wie lange geplant dem zweiten Teil der Tragödie widmet, entging zum Glück der Versuchung, Goethes Werk als Teufels Beitrag aktuell wie kurzlebig zu instrumentalisieren. So ist sie wohl gerettet.

Und damit Platz für eine echte Gesellschaftsdystopie, die selbst ein Johann Wolfgang von Goethe erst posthum wagte – oder wie man heute sagen würde (so es an hinreichenden Argumenten mangelt): dazu Haltung zeigte. Denn sein verjüngter Doktor macht sich nun wie ein echt-globaler Neoliberaler die ganze Welt untertan – vor allem per freier Geldschöpfung mittels Kopie – und experimentiert auch in Sachen Medizin, Technik und Landnahme so erfolgreich, dass die Moral hinten runter fällt. Dass der Doppelfaustautor unter anderem auch Adam Smith las (und verstand – so wie danach Karl Marx ihn), weiß man, aber dafür, dass sein zweiter Faust auch im dritten Jahrtausend als Folie dienen kann, wird er zu selten aufgelegt.

Wie im ersten Teil spielen Dirk Glodde und Philipp Otto ihr Duell in jener Gelassenheit und Textverständlichkeit, die Mephistopheles und Faust gebührt, um den Respekt vor des Pudels Kern zu wahren. Gab es in der ersten Runde im diabolischen Zweikampf mit dem Ziel der Wissens- und Bewusstseinserweiterung um den Preis des Lebens ein klares Patt, das von Glodde und Otto als intellektuell gewiefte Gegenspieler auf Augenhöhe durchaus so ausgespielt war, so gewinnt nun Mephisto klar – zumindest vermeintlich. Doch sieht man dann zum Schluss den durchweg großartig artikulierenden Dirk Glodde angesichts seines toten Gespielen ob seines Werkes in Trübsinn versinken, dann wohnt ein leiser Zweifel inne.

Gleichzeitig verdeutlicht der Abend, warum dieser zweite Faustteil in Vergeistigung samt rhythmischer Poetisierung kaum noch seine Regiemeister sucht (und findet): Er ist in der Figurenführung jenseits des Duells und der Geistesweite des Altmeisters kaum zu raffen.

Knödler versucht es und hat damit neben dem Hauptrollen noch acht weitere Spieler im wandelbaren Einsatz. In erster Linie Christine Gabsch als Kaiser und Wolfgang Adam als Kanzler (beide dann auch im fünften Akt als Baucis und Philemon), aber auch Susanne Stein als Heermeister plus Gott oder Jan Gerrit Brüggemann, der als anfangs blanker Schatzmeister zu eigenem Heilmeister namens Wagner wird. Auch Dominik Puhl zeigt seine Wandelbarkeit – als Junker, Baccalaureus, Wanderer, aber vor allem als traumhafter Euphorion, der leider per Ikaruskomplex die Liebe von Faust zu Helena ins Irdische (und darunter) zurückführt. Jene Helena, schon immer die schönste Frau der Welt, die für Faust sogar ihre Göttlichkeit abstreift, wird von Andrea Zwicky (zuvor auch Marschalk und Sphinx) ebenso unwiderstehlich gegeben wie in der ersten Version das Gretchen von Seraina Leuenberger, die nun – als eine schöne Ironie des Regieteams – einen auf dem Rollbrett roboterähnlich herumsausenden Homunculus mit Leuchtdioden spielt. Auch Marko Bullack, der als Fausts Seele diesen spiegelt, auch ab und an singend doubelt, gehört ob seiner sich unterordnenden Präsenz Hochachtung.

Was diesmal nicht so gelingt wie beim ersten Teil, sind dreierlei Beiträge, die auch jeweils dem Sujet geschuldet sind: Das damals faszinierende Bühnenbild von Frank Hänig ist nicht zu übertreffen. Darauf wird nun zwar angespielt, dahinter mit Verschiebung und Drehung gearbeitet und durchaus mediterrane Mystik samt korrespondierender Weite oder Enge geschaffen. Die Kostüme von Ricarda Knödler sind wie im ersten Teil sehr klar bis modern.

Auch die Tanzszenen von Ballettdirektorin Sabrina Sadowska, die wieder mit fünf Paaren in ihren eigenen Choreographien aufwartet, funktionieren nicht so gut. Und die Kompositionen von Steffan Claußner wirken zu fett aufgetragen und zu fantasyhaft.

Dennoch ist dieser Faust ein Zeichen, der nun auch ab und an als Doppelabend wirkt. Und mit Nietzsche, Frischs „Homo faber“ und dem zweimal dreistündigen Faust hat man hier (als Kern) ein geistiges Portfolio im Spielplan, das man als humanen Bildungskanon im Repertoire lange suchen muss. Und es gibt Stimmen, die sagen: Die Ex-Marx- und nun Goethe-Stadt sei nach Weimar ’99 viel besser als Kulturhauptstadt im Namen der homerischen Phöniziertochter Europa geeignet.

Andreas Herrmann, Dresdner Neuste Nachrichten, 25.09.2018

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Keine Chance gegen das ewig Weibliche.
Mit Faust II schafft Schauspieldirektor Carsten Knödler ei¬nen bildgewaltigen Einstieg in die neue Schauspielsaison.

Es ist, als hätte man per Messenger einen Youtube-Link erhalten. 19.30 Uhr gibt man dem Verlangen nach: Ja aber wirklich, nur dieses eine Filmchen über die wahren Hintergründe der Finanzkrise. Doch dann klickt man sich weiter von Clip zu Clip. Dieser zum Beispiel: die schönste Frau der Welt und wie sie zu leiden hatte. Sieh an: wie uns die Wissenschaft belügt. Und da schau her: ein Video über einen künstlichen Menschen. Und dann hier: Krieg - Mensch gegen Mensch. Und dort: Zerstörung - Mensch gegen Natur. Keine drei Stunden später, die irgendwie vorbeigegangen sind, fühlt man sich ganz erschlagen, mit vielen Bildern im Kopf, doch nur einer Erkenntnis: Irgendwie ist alles schlimm und war es immer.

Carsten Knödler hat nach Faust I nun auch Faust 11 inszeniert. Er folgt seiner Idee des ersten Teils, sein Faust ist gespalten in Kopf/ Körper (Philipp Otto) und Seele (Marko Bullack), die oft gemeinsam, gelegentlich getrennt durch das fünfaktige Stück stromern (errettet wird am Ende nur ein Teil). Er setzt auf das gleiche Inszenie-rungsteam, dem wir unter anderem ein wahnwitzig fantastisches, nennen wir es ruhig in seinen bildgewaltigen Möglichkeitsräumen: Opernhaus-reifes Bühnenbild von Frank Hänig, sprechende Kostüme vom Merkelschen Jäckchen für den Kaiser bis zur Tunika der Helena, entworfen von Ricarda Knödler, überwiegend sphärische Musik von Steffan Claußner sowie chorische Ballettchoreographien von Sabrina Sadowska verdanken. Alles in allem: ein Feuerwerk an Bildern, so manches wird im Kopf bleiben, und seien es nur der sechsbeinige Chiron, die in einer arkadischen Landschaft erscheinende Helena, Homunculus auf einem Rollbrett oder das sich über die Bühne ergießende Meer.

Knödler verdichtet, wo es möglich ist, Goethes ohnehin schon dichtes Welttheater auf die wirklich, wirklich großen Themen: Krieg, Frieden, Macht und ihre Begründung, Begehren, Glück, den Umgang mit der eigenen, der menschlichen, der außermenschlichen Natur. Faust, ganz Kerl der Moderne, jagt Antworten hinterher, am besten einfachen, er will nicht mehr denken, nicht mehr reden, er will Taten sehen und tun. Da ist kein Innehalten, kein Verweilen - schließlich gilt noch die Wette aus dem ersten Teil.

Entsprechend wenig Schonung kann der Zuschauer erwarten (zum Herunterkommen sei die Lektüre des Stückes nach dem Theaterbesuch empfohlen). Kaum hat man sich an eine Figur gewöhnt, schon ist sie auch wieder verschwunden - und der Schauspieler taucht in einer neuen Rolle auf. Das halbe Ensemble - unter anderem Susanne Stein, Seraina Leuenberger, Christine Gabsch, Andrea Zwicky, Dominik Puhl und Jan Gerrit Brüggemann - darf in mehreren Rollen eigene Stärken und Schwächen offenbaren (wobei die Stärken überwiegen). Nur der doppelte Faust sowie Mephisto sind beinahe immer da und bilden so den Anker in dieser Inszenierung.

Festhalten kann man sich dabei vor allem an Dirk Gloddes Mephisto. Nicht zufällig ziert sein Konterfei das Programmheft: Mephisto ist ja oft der wahre Held in Faust-Inszenierungen (weil er den meisten Interpreten als die spannendere Figur gilt) und so auch hier. Mephisto hat zu liefern, was Faust begehrt, und wenn er das nicht schafft, darf er sich Vorwürfe anhören: „Der Vater bist du aller Hindernisse". Gloddes Mephisto kennt, anders als Faust, Grenzen und ist sich dieser Grenzen bewusst - in die antike Welt zum Beispiel taucht er nur mit Widerwillen ein, sie ist ihm zu lebendig. Sphinxen sind ihm ebenso ein Graus wie „die Mütter". Am Ende ist er der Betrogene: Keine Chance gegen das ewig Weibliche. Okay, noch eine Erkenntnis. Zusammen also zwei. Bin noch ganz mitgenommen.

Volker Tzschucke, Chemnitzer Stadtstreicher, 10.2018

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  Erstellt am 04.10.2018