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David Greig
  "Europa"
 
Premiere am 30. Dezember 1995
     
 
Regie: Armin Petras
    Bühne: Toto Mittelstädt
     

Als ,,EUROPE" , das Stück des jungen schottischen Autors David Greig am 21. Oktober 1994 seine Uraufführung am TRA VERSE THEATRE in Edinburgh erlebte, war es bereits vom Londoner ROVAL COURT für eine Präsentation in Berlin vorgesehen, in deren Folge sich gleich mehrere deutsche Bühnen um das Recht der Erstaufführung bemühten. Ein gutes Stück, ein hartes und sensi-bles und ein aktuelles zugleich, das sich mit einer gegenwärtigen Tragödie beschäftigt, die europäische Hoffnungen ins Reich der Illusion zu vertreiben droht.

Ein Bahnhof an einer Grenze. Zwei übermüdete Flüchtlinge, ein Mann und eine Frau, treffen auf einen Bahnbeamten der seinen Bahnhof gegen die Schließung und unbefugtes Benutzen verteidigen will, und eine junge Eisenbahnerin, die den Fokus der Gleise als Pfad ihrer Hoffnung auf Flucht aus kleinbürgerlicher Enge sucht. Aus Neid und Ablehnung wird Neugier, Freundschaft, und zwischen den jungen Frauen wächst eine zarte, leidenschaftliche Liebe... ,Es schien so, als ob jener Herbst die Zeit der Busse war. Jede Nachrichtensendung im Fernsehen zeigte Bilder von den verschiedenartigsten Personenfahrzeugen, Luxusbusse, Eindecker-Stadtbusse oder fensterlose Rostvehikel. Man sah Menschen, die Busse vollstopften, um Plätze kämpften, Busse, die von schwarzgekleideten Frauen mit Steinen beworfen wurden, während sie in Konvois durch den Staub der Straßen rasten. Wir sahen Menschen in Tränen, als Verwandte abfuhren, Menschen ängstlich auf erhoffte Ankünfte warten, während sich andere um die Busse drängten. So wie sich die Vorstellung vom letzten europäischen Krieg mit der Eisenbahn verband, so scheint es, daß der Bus das Symbol dieser Katastrophe ist. Die Züge hatten aufgehört zu fahren - in Bosnien. In Mostar konnte man sich exakt an die Zeit und das Datum erinnern, an dem der letzte Zug abgefahren war. Die Ankunfts- und Abfahrtstafeln tragen noch Namen einer jetzt hoffnungslosen Auskunft. Mein Gefühl war, daß das etwas aristokratisches, würdevolles gegenüber der Abfahrt mit einem Bus war. Der Zug war ein Symbol der Ordnung, der Zivilisa-tion und vielleicht vor allem ein Symbol der Verbindung mit Europa. Was immer auch ,,Europa" bedeuten könnte, ich wollte mehr darüber wissen, was dieses Europa war. So wie Mauern brachen innerhalb und außerhalb der Europäischen Gemein-schaft, so gab es auch neue Mauern, die entstanden. Diese neuen Mauern und der Antrieb sie zu hauen oder zu verteidigen, das war es, was mich als Schreiber interessiert."

Notizen des Dramatikers David Greig

   

Die Premiere spielten:

Adele, die Bahnbeamtin

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Petra Förster

Fret, der Bahnvorsteher

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Andreas Haase

Katia, eine Ausländerin

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Silke Röder

Sava, ein Ausländer

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Frank Höhnerbach

Berlin, ein junger Arbeiter

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Johannes Mager

Billy, ein Betriebsratsmitglied

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Jürgen Lingmann

Horse, ein junger Arbeiter

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Peter Moltzen*

Morrocco, ein ortsansässiger Unternehmer

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Peter Kurth

* Studenten der Hochschule für Musik und Theater "Felix Mendelssohn Bartholdy" Leipzig am Studio Chemnitz
 

KRITIK:

"Europa" erlebte am 30. Dezember seine deutsche Erstaufführung im Schauspielhaus
„(...) Angesichts der euphorischen Meinungsmache im Hinblick auf ein geeintes Europa (...) befand sich der Erfolg der deutschsprachigen Aufführung auf des Messers Schneide, verweigert sich die Aussage jedoch entschieden hierzulande favorisierten politischen Konzepten. (...) Die von Petras bewußt angestrebten Irritationen versickern nicht im Sande, gehen zielgerichtet ans Eingemachte. Künstlerische Metaphern überhähen den Text. (...) Europa brennt (...)" die Deutschen stecken den Kopf in den Sand und wollen es hernach wieder einmal nicht gewesen sein. (...)"

Joachim Weise, Chemnitzer Blick, 10. Januar 1996

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"(...) Der Regisseur Armin Petras 1 (...) ist ein Zeichen- und Metaphernsammler, der seine Darsteller mitten im Spiel auch direkt auf Metaphern hinweisen läßt. (...) Er sucht Bilder aus allen modernen Kunst- und Medienbereichen, so daß sich ein sehr heterogenes, fast virtuelles Bühnengeschehen ergibt. Ein langsamer, oft quälender, manchmal faszinierender und, wie David Greig nach der Premiere fröhlich meinte, 'betrunkener' Traum. (...)"

Hartmut Krug, Der Tagesspiegel Berlin, 6. Januar 1996

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"(...) Menschen finden sich und gehen auseinander, Ansätze von Freundschaft und Liebe fallen Haß und Mißgunst zum Opfer. Es ist, als ob der junge Autor die Konflikte der Europäer mit den Fremden und Vertriebenen an diesem trostlosen Ort zur Explosion bringen will. (...)"

Volker Trauth, Frankfurter Rundschau, 5. Januar 1996

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"(...) Im Zeitstück Europa‘ entwickelt sich das eigentliche Thema aus der Konfrontation der Figuren: Heimatlosigkeit, freilich nicht in existentialistischem Sinn. Greig zeigt Europa von den Grenzen her. (...) Der Riß zwischen Drinnen und Draußen geht quer durch. Europa ist ein unwirtlicher Ort. (...)"

Stephan Zimmermann, Neue Zürcher Zeitung, 4. Januar 1996

   

   

 

  Erstellt am 04.12.2000