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Henrik Ibsen
  "Ein Volksfeind"
 
Premiere am 14. Februar 2015
     
 
Regie: Carsten Knödler
    Ausstattung: Ricarda Knödler / Frank Heublein
     


Ein kleiner prosperierender Kurort: Die gesundheitsfördernde Wirkung des Wassers verspricht nicht nur den Kurgästen Wohlbefinden und Erholung, sondern auch den ansässigen Bewohnern lukrative Geschäfte. Da entdeckt der Badearzt Dr. Thomas Stockmann, dass das Wasser durch Industrieabwässer verseucht ist. Ein Umweltskandal droht. Stockmann hält es als Wissenschaftler für seine Pflicht, die Öffentlichkeit darüber aufzuklären. Zunächst hat er die Mehrheit auf seiner Seite. Aber die Wahrheit gefällt nicht jedem im Ort, besonders denen nicht, deren ökonomische Interessen sie torpediert. Ausgerechnet Stockmanns Bruder, der Bürgermeister der Stadt, wendet sich vehement gegen die Überzeugungen seines Bruders. Er argumentiert im Sinne des Gemeinwohls, dass notwendige Baumaßnahmen Kosten und Imageverlust für den Kurort bedeuten würden. Die Meinungsmacher der Stadt lassen sich überzeugen und erklären den Störenfried Dr. Thomas Stockmann kurzerhand zum Volksfeind. Eine Hetzkampagne beginnt, die mit der Zeit den Gegenstand selbst aus dem Auge verliert, eine Eigendynamik entwickelt und die Radikalisierung der Positionen zur Folge hat.

Henrik Ibsens 1882 entstandenes Schauspiel war schon zu Zeiten des Dramatikers eine Kampfansage an die populistische Meinung der Massen, die allzu oft als Wahrheit anerkannt und manifestiert wird. 1988 inszenierte Frank Castorf Ibsens Klassiker am Schauspiel Chemnitz (damals Karl-Marx-Stadt) und opponierte damit gegen eine diktatorische Majorität.In multimedial geprägten Zeiten bietet Ibsens "Volksfeind" eine Steilvorlage für die kritische Auseinandersetzung mit dem vermeintlich liberalen Mehrheitsprinzip einer Demokratie, in der Überzeugungen und Eigeninteressen allzu oft eng miteinander verbunden sind. Zudem lässt sich ein fanatischer und mitunter pervertierter Kampf um "die Wahrheit" genauso in Frage stellen wie eine Politik, die von ökonomischen Interessen und Lobbyisten geprägt ist.

Text - Theater Chemnitz !!!

Die Premiere spielten:
Dr. Thomas Stockmann
-
Philipp von Schön-Angerer
Peter Stockmann
-
Philipp Otto
Frau Stockmann
-
Maria Schubert
Petra Stockmann
-
Lysann Schläfke
Hovstad
-
Ulrich Lenk
Aslaksen
-
Marko Bullack
Billing
-
Dominik Frötsch*
Morten Kill
-
Wolfgang Adam
Kapitän Horster
-
Christian Ruth
Protestler / Störenfried
-
Christoph Radakovits*
Referendarin
-
Lin Anders**
Bürgerin
-
Patricia Windhab**
Kurgast / Einsatzkommando der Polizei
-
Jakob Lenk****
Kurgast / Einsatzkommando der Polizei
-
Alexander Zill***
Kurgast / Einsatzkommando der Polizei
-
Uwe Engelhard***
Kurgast / Einsatzkommando der Polizei
-
Klaus-Peter Viertel***
Kurgast / Einsatzkommando der Polizei
-
Andreas Uhlig***
Kurgast / Einsatzkommando der Polizei
-
Yves Klemm***
 

* Studenten des Schauspielstudios / Kunstuniversität Graz

** Studenten des Schauspielstudios / Anton Bruckner Privatuniversität Linz
*** Mitglieder der Statisterie der Theater Chemnitz
**** Mitglieder des Theaterjugendclubs
 
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KRITIK:

Die Stunde der Opportunisten
Das Schauspiel Chemnitz zeigt "Ein Volksfeind" von Henrik Ibsen. Die Fragen nach Gut und Böse beantwortet Regisseur Carsten Knödler bewusst nicht.

Ein Stoff, der zu allen Zeiten Theater und Zuschauer gleichermaßen gefordert hat: Anhand eines Umweltskandals wird durchbuchstabiert, wie Machtorgane einen Umweltskandal unter den Tisch kehren wollen und wie sich der Einzelne dazu verhält. Hier schlägt die Stunde der Opportunisten. Das Publikum zeigte sich in der Chemnitzer Premiere am Sonnabend im Schauspielhaus überaus angeregt und applaudierte begeistert.

Was treibt ein Gemeinwesen an, was zerstört es? Auf diese Fragen gibt Regisseur und Schauspielchef Carsten Knödler in einer die Gegenwart reflektierenden Inszenierung keine eindeutigen Antworten. Die Bühne von Frank Heublein signalisiert in stylischem Marmor, dass die Bürger eines Städtchens im Wohlstand angekommen sind. Kein Stuhl, kein Tisch, nur steinerne Pracht. Hier erzählt Carsten Knödler mit einem großen Team den Traum vom kommunalen Glück, der zu zerplatzen droht, und dem Anteil jedes Einzelnen daran.

Der Hauptheld, Badearzt Stockmann, ist charmanter Gastgeber, gut gelaunt, geistreich, selbstsicher. Auch die städtischen Kuranlagen sind gut besucht: Im Dampfbad kuriert sich der ganze Ort. Männer in Badehosen nehmen hier Platz und kungeln die Geschäfte aus. Einer passt da nicht so richtig ins Bild, Stockmanns linkischer Bruder und Bürgermeister, in allem das Gegenteil seiner selbst: freudlos, akkurat, Tee statt Whisky. Ausgerechnet der allseits beliebte Arzt findet nun eine Wahrheit von Wohlstand-zerstörender Wucht und will sie gegen alle anderen durchdrücken. Er berauscht sich an elitären Gedanken, ist voller Verachtung für den dummen Rest und wird nun in einer Menage von Lobbyisten aus Politik, Wirtschaft und Medien zum "Volksfeind" erklärt. Um den eigentlichen Anlass geht es kaum noch, dafür zunehmend um radikale Gedanken. Am Kulminationspunkt weitet sich das Bühnendrama auf den ganzen Saal aus, die Zuschauer werden inmitten einer scharfen, handgreiflichen Saalschlacht Teil der Inszenierung, wenn sich die aufgestaute Wut artikuliert und sich der Held in einer Hetzrede selbst demontiert.

Zu lachen gibts auch was: Ganze Statisten-Scharen mitten im Publikum sind kurstadtmäßig in Bademäntel gehüllt, manche Bühnenfiguren sind bis zur Karikatur stilisiert. Kapitän Horster (Christian Ruth) gibt den Otto, und der Journalist (Ulrich Lenk) darf mindestens drei Zigaretten auf der Bühne rauchen. Pointiert entlarvt sich die Presse à la "Volksfreund": Was sich investigativ aufklärerisch gibt, zeigt sich alsbald durchdrungen von Staatsnähe und Karriereabsicht.

Der Abend fühlt sich stark in die Gegenwart hinein, fragt nach Haltung und schärft nachdenklich wie unterhaltsam die Gedanken. Vornehmster Vorzug ist ein großartiges Ensemblespiel, allen voran Philipp von Schön-Angerer in der Titelrolle. Man freut sich an seinem vitalen Helden und gerät dabei fast in die Falle des radikalen Verführers.

Marianne Schultz, Freie Presse, 16.02.2015

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Ein Volksfeind - Carsten Knödler bittet das Publikum in Chemnitz zur Teilnahme an einem Krimi
Wer ist das Volk?

Kurgäste in Bademantel und mit Drink in der Hand schlappen durchs Foyer, folgen den Zuschauern in den Saal. Die Treppenlandschaft auf der Bühne (Frank Heublein) ist mal Zeitungsredaktion, mal Kurpromenade mit Wasserhähnchen fürs heilbringende Nass. Schauspieldirektor Carsten Knödler, der im Theater Chemnitz Henrik Ibsens "Ein Volksfeind" inszeniert hat, variiert im ersten Teil der Aufführung das Thema "Kurbad" auf allerlei Arten. Fast jeder der Akteure hat mal Bademantel und Schlappen an, Handtücher werden dekorativ geschlungen, Aslaksen und Stockmann tummeln sich im dampfenden Thermalbad, ohne nass zu werden.

Das ist ein bißchen viel des Als-ob-Kurens; dass mit Euro gezahlt wird, die brisanten Untersuchungsergebnisse über das verseuchte Kurwasser per Laptop präsentiert werden, Zeitungstexte per USB-Stick den Besitzer wechseln, soll das Stück vorsichtig näher ans Heute bringen. Doch letztlich bleibt dieser erste Teil das gute, alte Konversationsstück um den eitlen Dr. Stockmann, der mit viel aufklärerischem Pathos das Prunkstück seines Städtchens, das Kurbad, in Verruf bringt.

Teil zwei mit Publikum als Bürgerversammlung
Auch die übrigen Charaktere sind eindeutig festgelegt: Der verbiesterte Bürgermeister-Bruder Stockmann, der schmierige Journalist Hovstad, der sich schon an der Spitze einer Revolution sieht, der wendige und Mäßigung predigende Aslaksen. Dazu, bei Stockmann zu Hause, ein furchtsames Frauchen und eine aufmüpfige Tochter. Und alle sind zwischen Populismus, Obrigkeitsfurcht und Sorge um ihr kleines Stückchen Macht unterwegs - Knödler vermeidet es allerdings, hier Parallelen zum Heute deutlich aufzuzeigen, die muss und kann der Zuschauer sich selber denken.
Was diesem ersten Teil der Inszenierung an Spannung und Action abgeht, gibt's nach der Pause dann reichlich. Denn das Publikum wird zu der außerordentlichen Bürgerversammlung, in der Stockmann als Nestbeschmutzer seines beschaulichen Kurstädtchens auseinander genommen wird. Bürgermeister und Aslaksen wettern von der Galerie herunter, junge Demonstranten skandieren in den Gängen ihre gegenteilige Meinung. Flugblätter fliegen, es gibt Gerangel, Polizisten schreiten ein, prügeln und führen ab. Wenn dann noch "Wir sind das Volk!" durch den Saal schallt, ist das allerdings Original-Ibsen.

Heddas Knarre spielt auch mit
In all dem Tumult und Remmidemmi hat Stockmann die schwierige Aufgabe, aus seinem Leben eine Wahlrede zu machen, allein mit einem Mikro auf der Bühne, und zugleich sein Plätzchen in der Gemeinde zu verteidigen. Philipp von Schön-Angerer macht das beeindruckend, wie er sich vom verseuchten Kurbad zu immer größeren Zusammenhängen windet, immer eifernder und geifernder wird, um seine allein seligmachende Position zu vertreten. Auch da sind durchaus heutige Parallelen à la "Pegida" und anderen Populisten mitgedacht, aber nicht vorgeführt.
Dass ihm dann Hedda Gabler ("ich komme aus einem anderen Stück", Carsten Knödlers Antrittsinszenierung in Chemnitz) eine Pistole überreicht, mit der er "in Schönheit" alles zu Ende bringen soll, ist ein eher abstruser Einfall. Aber diese Phase, in der sich die ungleichen Brüder Stockmann selbst zerlegen, der "Revoluzzer" und Kurbad-Verräter alles Bürgerliche vehement bestreitet und zertrümmert, aber zugleich genau um dessen Verlust fürchtet, ist die stärkste Phase dieser Inszenierung. Als dann Hovstad und Aslaksen mit Stockmann einen letzten, dreckigen Deal abwickeln, bleiben drei bedröppelte Herren im Schwimmbad zurück, einer mit Heddas Knarre in der Hand.

Ute Grundmann, nachtkritik.de, 02.2015

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Ibsens "Volksfeind"
Ein Mann wird gejagt

Auf den argen Weg der Erkenntnis begibt sich Dr. Thomas Stockmann, als er erfahren muss, dass sich das von ihm (mit Unterstützung seines Bruders, des Bürgermeisters der Stadt) ins Leben gerufene Kurbad aus üblen, sogar der Gerberei seines Schwiegervaters entflossenen Giftstoffen speist. Dem Ein halt zu gebieten, sagt so mancher, der mit dem Stadtoberhaupt noch eine Rechnung offen hat, allen voran die "freie" Presse, Stockmann Gefolgschaft zu. Nach Bekanntgabe der erforderlichen Kosten verlassen diese zweifelhaften Kantonisten jedoch das Fähnlein der Aufrechten, und der in die Enge getriebene Arzt steigert sich in einen rauschhaften Rundumschlag, der ihn weitere Anhänger kostet. Als Volksfeind geächtet, der öffentlichen Hatz preisgegeben, zieht er für sich das Resümee: "Der stärkste Mann auf der Welt ist der, der ganz allein dasteht." Inszeniert hat Henrik Ibsens Stück Carsten Knödler, dessen Vater vor rund 30 Jahren als Dr. Stockmann in einer Deutung von Frank Castorf am Chemnitzer Schauspielhaus zu erleben war. Diesmal zeigt sich uns ein zunächst weniger auffälliger Typ, der sich kaum vom Durchschnitt seiner Partygäste abhebt. Erst als ihm sein Verdacht zur Gewissheit wird, gewinnt dieser Mann zunehmend an Profil, das sich während der Einwohnerversammlung in die Neurose steigert - eine fantastische Leistung des Darstellers Philipp von Schön-Angerer.

Als brüderlicher Widerpart scheint Philipp Otto anfangs aus dem Mustopf zu kommen, ein Langweiler vom Dienst, der sich alsbald als eiskalter, kommunale Machtspielchen virtuos beherrschender Stratege entpuppt. Wenn Knödler dieser Figur Momente unfreiwilliger Komik zugesteht, dann nicht, um sie zu beschädigen, sondern sie vielmehr in ihrer erschreckenden Alltäglichkeit bloßzustellen. Dabei verlegt der Regisseur das Geschehen behutsam in die Gegenwart, weiß aber zum Glück keineswegs alles besser als der Autor, dessen Aktualität im Stück selbst begründet liegt. Keine der Figuren verkommt zur Karikatur ihrer selbst, seien es dies nun der windige Journalist Ulrich Lenks oder der leisetreterische Drucker Marko Bullacks. Auf welch perfide Weise ein Mann im Hintergrund seine Strippen zieht, führt Wolfgang Adam (Gerber Kill) mit sparsamen, aber dadurch desto eindringlicheren Mitteln vor. Frank Heubleins Einheitsbühnenbild (ein seine verheerenden Dämpfe absonderndes Bad als Zentrum der Aufführung) arbeitet dem Regieansatz Knödlers bestens zu.

Joachim Weise,"Blitz!", 15.03.2015

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  Erstellt am 31.05.2018