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  "Brel - Getanzte Chansons"
 
Premiere am 21. September 2007
   
    Choreographie und Inszenierung: Lode Devos
    Bühne und Kostüme: Christiane Devos


 

Mit Jacques Brel, Künstler von Weltruf, der Mitte des 20. Jahrhunderts das französische Chanson wie kaum ein anderer verkörperte, war und ist trotz seiner frankophonen Wahrnehmung so etwas wie Belgiens Aushängeschild, eine nationale Ikone.

Aus der Brüsseler Kleinbourgeoisie stammend, war Jacques Brel über lyrische Versuche und eher unbeholfen interpretierte christliche Lieder zum Chanson gekommen, das er zwar spät, aber umso intensiver als sein Metier entdeckte und zu neuer Selbstfindung annektierte. Sein Leben war fortan ein exzessives in nahezu allen Bereichen, auch in seiner Ausdrucksform. Ihn auf den Raubbau an sich selbst zu reduzieren wäre falsch, denn die Pausen, die sich der Kettenraucher zwischen dem Stardasein in Paris in seiner belgischen Heimat gönnte, waren Beleg seiner Zerrissenheit zwischen bürgerlicher Prägung und dem Wüten gegen diese frühe Bestimmung.

Text - Theater Chemnitz !!!

 

Der Chemnitzer Ballettdirektor Lode Devos, ebenfalls Belgier, wuchs mit Jacques Brels Musik auf und fand in ihr eine teilweise überraschend brutale, fast immer drastische und trotzdem irgendwie liebevolle Widerspiegelung seiner eigenen Wahrnehmungen. Lode Devos plant keine Hommage an die 1978 verstorbene Legende, sondern er will die Brel’schen Lieder als Katalysator von Geschichten verwenden, an dem sich die Szenen reiben. Der Choreograf will zu den Chansons Episoden aus der Zeit seiner Jugend erzählen und als Beispiel einer kulturellen Identität aus Europa mit seinem internationalen Ballettensemble gestalten.

Text - Theater Chemnitz !!!

 
 
Die Premiere tanzten:
Marija Buschujewa
.
Ukraine
Elisenda Cladellas Parellada
.
Spanien
Madeleine Crist
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Kanada
Sara De Col-Edler
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Italien
Carolin Fabre
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Frankreich
Laure-Emanuell le Garrec
.
Frankreich
Anne-Frédérique Hoingne
.
Frankreich
Leslie Humbert
.
Frankreich
Ludmila Komkova
.
Weißrussland
Beatriz Uhalte Cisneros
.
Spanien
Steffi Waschina
.
Deutschland
Thomas Ambrossini
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Frankreich
Clément Bugnon
.
Schweiz
Jonathan Aurélien Bruno Cadic
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Frankreich
Yuya Fujinami
.
Japan
Jeronimo Romero Gonzales
.
Mexiko
Armin Frauenschuh
.
Österreich
Erion Kruja
.
Albanien
Maged Mohamed
.
Ägypten
Bert Uyttenhove
.
Belgien
David Valencia
.
Kolumbien
     
 

KRITIK:

Getanzte Chansons und Dinge des Lebens
CHEMNITZ - So geht das: Am Haarschopf packt die Frau den Mann, zieht ihn heran, stößt ihn weg.

"Ne me quitte pas" (Bitte geh nicht fort) haucht rauchig dazu aus den Lautsprechern Jacques Brel (1929-1978): eine der ergreifendsten Szenen (herausragend getanzt von Beatriz Uhalte Cisneros und Maged Mohamed) in "Brel - Getanzte Chansons", die Ballettchef Lode Devos am Freitagabend im Schauspielhaus einem ziemlich begeisterten Publikum vorstellte.

Brel, der französischste aller belgischen Chansonniers, hätte sich auch gefreut: Mit 18 seiner liebestollen, aufmüpfigen und lyrischen Lieder lässt Landsmann Devos sein Chemnitzer Ensemble launig, heiter, anzüglich die Dinge des Lebens interpretieren. Da wird zwischen gemessenem Schreiten und trunkenem Verrenken verführt, geliebt, geklagt, gesüffelt und schon mal aus einem Männerhaufen der Beste herausgesucht - eine tolle Ensembleleistung, viele beachtliche Soli (Ann-Frédérique Hoingne, Armin Frauenschuh u.a.). Das alles in schlichtem Schwarz-Weiß (stimmige Bühne: Christiane Devos). Und immer steht vorn ein Mikrofon, Brel ist irgendwie dabei.

Ch. Hamann-Pönisch, Morgenpost, 24.09.2007

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Liebe, Leid und getanzte Leidenschaft
Chemnitzer Ballett interpretiert Chansons von Jacques Brel

Chemnitz. Die Liebe besingt Jacques Brel wie kein anderer. Pathos ist sein Markenzeichen, und Gefühle waren für den belgischen Chansonnier Zeit seines kurzen Lebens eine alles aufwühlende Macht. Diese verwandelte der Chemnitzer Ballett-Chef Lode Devos am Freitag Abend in Bilder. "Brel - Getanzte Chansons" hieß die erste Premiere der neuen Spielzeit im Schauspielhaus und die Besucher honorierten das wundervolle Feuerwerk der Leidenschaft mit Minuten langem Applaus - teilweise stehend.
Jacques Brel schrieb viele Chansons, die von quälendem Schmerz und endgültigem Verlust erzählen. Doch wer glaubte, der Abend werde zu einem schwermütigen Angriff auf jedwede Lebensfreude, der irrte gewaltig. Denn Ballett-Chef Devos verstand es meisterlich, 18 Lieder aus dessen Repertoire auszuwählen, die nicht nur die Tiefen des Lebens beschreiben. "Rosa" gab den Auftakt der fröhlicheren Chansons. Erion Kruja tanzte perfekt durch die Brel-Verse und erzählte die Geschichte vom Erlernen der Liebe und der Verführung voller Leichtigkeit. Auch bei "Bonbons" spürte man die Leichtigkeit des Verliebtseins, wenn Jacques Brel seiner neuen Flamme statt Blumen Bonbons mitbringt.
Die Stärken des Balletts zeigten sich bei der Premiere eher bei den Einzelauftritten. Dann agierten die Tänzer in absoluter Harmonie und erzählten die Geschichten der Chansons - ohne dass man ein Wort französisch verstehen musste. Tanzte die 20-köpfige Gruppe jedoch zusammen, fehlte nicht selten der Synchronismus. Zwar kompensierten die Frauen und Männer aus 16 verschiedenen Ländern das Manko mit einer Leidenschaft, die die Zuschauer ansteckte, doch hin und wieder hätte etwas mehr Genauigkeit nicht geschadet.
Natürlich fehlt im neuen Programm nicht das wohl melancholischste Chanson von Jacques Brel: "Ne me quitte pas" - Verlass mich nicht. Zerreisst schon die Stimme des Belgiers das Herz des Zuhörers, wenn er seine Geliebte anfleht, ihm nicht den Laufpass zu geben, so verwandeln Beatriz Uhalte Cisneros und Maged Mohamed das gesungene Leid in eine optische Zerreissprobe. Zwei Menschen im innerlichen Kampf mit widersprüchlichen Gefühlen - visualisiert im Tanz.
Das Abschluss-Chanson hat wohl auch für Lode Devos Symbolkraft: "J'arrive" - ich komme an". Das trifft nicht nur auf die Brel-Chansons zu, die in Chemnitz angekommen sind, sondern auch auf ein junges, ausdrucksstarkes Ballett.

Grit Strietzel , Freie Presse, 24.09.2007

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Belgischer Charme
Der belgische Chansonnier Jacques Brel ist 1978 gestorben - und doch sind seine Lieder bis heute populär. Neben dem wohl bekanntesten "Ne me quitte pas" hat der Chemnitzer Ballett-Direktor 17 weitere Songs ausgewählt - und "Getanzte Chansons" inszeniert.

Die Frage ist doch: Kann ein Abend mit Musik von Jacques Brel daneben gehen? Natürlich nicht. Schon gar nicht, wenn er von leidenschaftlichen Tänzern bestritten wird. Und das sind sie ohne Zweifel, die jungen Mitglieder des Balletts Chemnitz, allen voran Ann-Frédérique Hoingne, Sara de Col-Edler, Clément Bugnon, Erion Kruja oder Bert Uyttenhove. Nach gut einem Jahr gemeinsamen Arbeitens haben sie nun ihren zweiten Tanzabend im Schauspielhaus vorgestellt und das Publikum begeistert. Dabei hat es ihnen Direktor und Choreograf Lode Devos nicht unbedingt leicht gemacht. Ohne Mitleid schickt er sie auf eine Achterbahnfahrt der Gefühle, Verliebtsein wechselt mit Trennungsschmerz, Lebensfreude mit Trauer - und auf all das lassen sie sich oft mit so viel Seele ein, dass diese starken Chansons zu intensiven Erlebnissen werden.

Freilich gelingt nicht jede Interpretation so überzeugend, doch lässt sich das gelassen hinnehmen, weil die Inszenierung kurzweilig bleibt. Mal geht es Lode Devos ungemein heiter an, verspielt, locker. Dann wieder akkurat, überlegt, konzentriert. Dazwischen breitet er ein solides Repertoire an Bewegungen aus, deren Weite vor allem eines bezeugt: Herz. Fast scheint es, Brels Interpretationen sind für den gebürtigen Belgier irgendwie Heimat. Jedenfalls findet er einen so innigen Zugang, dass er die Company diesmal von Anfang an mitreißt. Eine durch und durch charmante Liaison von Musik und Tänzern, die Kostümbildnerin Christiane Devos mit einem schlichten SchwarzWeiß-Look unterstützt.

Jenny Zichner, Stadtstreicher, 10.2007

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Kleinster Nenner: die Liebe
„Brel - Getanzte Chansons“ fangen in Chemnitz Leben ein

Links auf der Vorbühne steht ein altes Mikrofon, das den Sänger erwartet. Zu leisem Klavierspiel und Kneipengeräusch tragen auf schwarz ausgeschlagener Szene Kellner, unter einer schwebenden roten Tür und zwei flankierenden Fenstern als dezentem Hintergrund, weiße Tische und Stühle ins Freie eines Straßencafés. Der Sänger freilich erscheint nicht, wohl aber seine Stimme: von der Orkangewalt eines vollen Orchesters, dessen Gefühlseruptionen Dämme niederreißt. Aus einem besinnlichen Tête-à-tête wird für die je zehn einander begrüßenden Frauen und Männer, alle schwarze Hose, weißes Oberteil, die Herren Weste darüber, nichts. Denn Jacques Brel, Belgiens und der Welt größter Chansonnier, zwingt sie in seinen Kosmos, frei von jeglicher Gefälligkeit. „Brel - Getanzte Chansons“ bietet dem Chemnitzer Ballettchef Lode Devos die Chance, eine Schuld abzutragen: an jenen, mit dessen Musik er daheim in Flandern aufwuchs, die ihn prägte und nicht mehr losließ. Aus dem grandiosen OEuvre des 1978 nicht einmal 50-jährig verstorbenen Aufstörers hat er 18 in sich geschlossene Balladen aus 18 Schaffensjahren zu einer emotional anspringenden, lose verbundenen Abfolge choreografischer Erfindungen gefügt.
Dass sie sich zwischen Text und Musik, bei Brel gleichermaßen stark und eigensinnig, behaupten, auf die vertrackten Temposteigerungen reagieren müssen, macht die Gratwanderung für den Tanz so delikat. Devos führt Brel und das Ballett auf den kleinsten gemeinsamen Nenner: die Liebe, was sie den Menschen schenkt und antut. Musikalisch sind die chansonkurzen Choreografien allemal; vom Text lösen sie sich, wo es ihre Eigenständigkeit erfordert. In „Rosa“ gleich zu Beginn produziert sich Erion Kruja mit technischem Furor vor den Damen und erwartet stolz ihren Applaus. „Au suivant“, ein Anti-Musterungs-Song, stellt kraftvoll die verschiedenen Emotionen einer Gruppe junger Männer aus. Wie souverän Devos Spannung durch Gegensätzlichkeit schafft, zeigt „Fernand“ um den Tod eines Freundes: Clément Bugnon schält sich aus der Gruppe heraus und gestaltet vor dem Fries vorbeiziehender Frauen die Tragik eines abrupt unterbrochenen Lebens, geschlagen, getragen, geküsst von der Geliebten. Dass der textfreie Teil tänzerisch eher statisch bleibt, ist hier ein Manko. Bugnon darf im folgenden Titel als Trunkener sein Verlassensein in Wein ersticken, mit virtuosen Manegen und Diagonalen, bevor er sich vor aller Augen sein Herz ausreißt.
Zu Meeresrauschen irrt er durch weibliche Wellen davon, die, unsauber noch, in „Le plat pays“ für Brels Liebeserklärung an die Weitläufigkeit seiner belgischen Heimat stehen. Eine der Frauen, die attraktive Ann-Frédérique Hoingne, wird in „Bonbons“ jene Freundin, die Brel mit Wörter und Buchstaben süffisant zerkauender Stimme durch Pralinen zu erobern sucht. „Jojo“, das Trauerlied über den verstorbenen Manager, gerät zu einem choreografisch vielschichtigen Liebesduett zweier Männer, deren Gram das Geplänkel dreier Paare zu prallem, atemberaubend geschwindem Musettewalzer auffängt. Dass man „Ne me quitte pas“, eine der bleibenden Leistungen des Chansons überhaupt, nachgesungen auch von Marlene Dietrich, Nina Simone, Barbara, tanzen kann, war eine der Überraschungen des Abends im Chemnitzer Schauspielhaus. Beatriz Uhalte Cisneros und Maged Mohamed stellen sich atmosphärisch stimmig einer zerbrochenen Beziehung, in der alles gesagt ist und nur der Schmerz noch verbindet.
Strommasten in perspektivischer Verkürzung skizzieren nach der Pause Belgiens Flachland. Vor dieser Kulisse teilen sich David Valencia und Bert Uyttenhove zu Marschrhythmus mit viel Humor die Rolle des kleinen Brel, finden sich unterm Sternendom einer Diskokugel und zu explodierendem Gesang schüchtern bis skurril die Paare, vollzieht sich in „Orly“ ein Abschied. Wie brillant Uyttenhove in „Le gaz“ die Rolle eines Traumichnicht gestaltet, korrespondiert eng mit der Intensität, Unbedingtheit, Augenblickspräsenz eines Brel und weist den jungen Interpreten als besonderes Talent aus. Unter einem Haufen liegender Männer findet eine Frau erst zuletzt den Richtigen; „Les singes“ bebildert nicht die politische Dimension des Textes, wohl aber das tierische Miteinander der Geschlechter; Sehnsüchte artikulieren sich in einer Episode, in der die Männer eher leiden, die Frauen trösten. In „J’arrive“, Brels furiosem Bilanz-Chanson als Finale, werden die Siegerposen der scheinbar Ankommenden kleiner, machen Zweifeln Platz, bis die Frauen die Männer fallenlassen und über sie hinweg um die Masten herum abschreiten. Kein Happyend, eben wie im Leben.
Mit vollem Einsatz wirft sich die junge, spielfreudige, sichtlich verschworene Chemnitzer Compagnie dem Koloss Brel entgegen und macht sich Devos’ ausdrucksvoll plastische Sprache aus Klassik und Moderne souverän zu eigen. Wie geschickt der 90-minütige Abend inszeniert ist, gehört ebenso zu seinen Vorzügen wie Christiane Devos’ gediegene Ausstattung, Sara de Col-Edler und Armin Frauenschuh als weitere Solisten von Format - und, unsterblich, le grand Jacques.

Volkmar Draeger, Neues Deutschland 26.09.2007

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  Erstellt am 18.11.2007