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  "Bernarda Albas Haus"
 
Premiere am 11. Mai 2002
    Ballett von Torsten Händler nach Federico Garcia Lorca
Musik von Isaac Albéniz, Vicente Amigo, Manuel de Falla, Alberto Ginastera, Enrique Granados, Astor Piazzolla, Horacio Salinas und Anibal Troilo
 
 
    Choreographie und Inszenierung: Torsten Händler
    Bühne: Klaus Wichmann
    Kostüme: Manja Rufledt


   
 

Bernarda Alba herrscht tyrannisch über ihr Haus. Nur ihr Wille zählt und keine ihrer fünf erwachsenen Töchter versucht, sich offen dagegen aufzulehnen, obwohl sie wie Gefangene gehalten werden. Trotzdem kann sie nicht verhindern, dass sich dem Haus ein junger Mann nähert, der heimlich Kontakt zu Bernardas ältester Tochter Angustias sucht.

Als Bernarda von der Verbindung erfährt, drängt sie die beiden zur Verlobung, um den guten Ruf der Familie zu wahren. Ernsthaft in Gefahr gerät der gute Ruf allerdings erst, als jener Verlobter ein intimes Verhältnis mit Adela, der jüngsten der Schwestern, beginnt. Von der Mutter zur Rede gestellt, flieht Adela in den Tod. Doch Bernarda kann dies nicht schrecken. Sie befiehlt den Töchtern, über das Ereignis einen Mantel des Schweigens zu decken.

   
Für den Tanz stellt die Bearbeitung literarischer Vorlagen eine besondere choreographische Herausforderung dar. "Bernarda Albas Haus" zeichnet sich durch eine elementare Dramatik aus. Konflikte ergeben sich durch Leidenschaft und Tradition. Die Errichtung einer Scheinwelt zur Wahrung gesellschaftlichen Ansehens ist eine zeitlose Problematik.
Die Darstellung zwischenmenschlicher Beziehungen in einer sehr komplexen Lebenssituation bildet den Mittelpunkt des Werkes.
Meine Konzeption basiert auf einer möglichst konzentrierten Umsetzung des inneren Kerns des Dramas auf der Ballettbühne. Der Anspruch von Lorca, der Geschichte den Charakter eines fotografischen dokumentarischen Berichtes zu verleihen, soll in der Choreographie spürbar werden. (Torsten Händler)
   
 
Die Premiere tanzten:
Bernarda Alba
-
Marko Bullack
Angustias
-
Erin Kavanagh
Magdalena
-
Diana Jansen
Amelia
-
Carolina Sorg
Martirio
-
Annamaria Gombos
Adela
-
Doreen Windolf
La Poncia, Magd
-
Sara de Col
Pepe el Romano
-
David Scherzer
     

KRITIK:

Gruppenbild mit Diktator Mama herrscht, Mama haut

Die dunklen schweren Vorhänge sind zugezogen. Mama thront wie ein berühmter Diktator auf einem Sessel, trägt zum menco-Rock eine Militärjoppe und hat ihre fünf Töchter fest im strengen Blick.

Die Mädchen winden sich aus einem schwarzen kokonartigen Schlauch und verhärmen in schmetterlingsbunten Fähnchen. Denn so farbenfroh ist das Leben in "Bernarda Albas Haus" nicht, zeigt Torsten Händler in seinem Ballett nach dem gleichnamigen Stück von Federico Garcia Lorca, seit Samstag im Chemnitzer Schauspielhaus zu sehen.
Getanzte Tyrannei: Mama herrscht, Mama straft, Mama haut (bewundernswert bedrohlich in dieser Weiberrolle ein Mann: Marko Bullack). Die Magd ist ein beängstigendes Faktotum (großer Eindruck: Sara de Col). Die Töchter, verhuscht wie Mäuschen, verschwinden wie auf Kommando unter dem Vorhang (tolle verspielte, vernachlässigte, ernste und kindliche Typen: Annamaria Gombos Diana Jansen, Erin Kavanagh, Carolina Sorg, Doreen Windolf). Nur der Macho-Schlawiner Pepe (rauchend und schön lässig: David Scherzer) greift mal beherzt dahinter, angelt sich nach Bedarf eine der Alba-Töchter, kriegt auch die jüngste schnell rum und lässt sie "danach" achtlos auf den Bühnenhoden plumpsen.
Händler bietet mit einem engagierten Ensemble Ballett und Schau-Spiel zugleich. Geturtel, Gezänk, Gezerre, Gewalt, Getuschel kommen zwar durchaus spanisch (rassige Musik und andalusische Juchzer vom Band), aber auch irgendwie Chemnitzbekannt daher. Nicht alles ist so prickelnd wie die Szene, als die kleine Adela den schon mit der großen Schwester verheirateten Pepe umklammert und nach seinem gefühllosen Patschhändchen grabscht. Das geht mehr unter die Haut als manch langwieriges Gewedel mit Tüchern. Dafür wimmelt es in Händlers "Haus" von choreografischen, ja waghalsigen Einfällen.
Irgendwann noch-mals Gruppenbild mit Diktator. Die Welt ist wieder in Ordnung. Bis auf die Leiche unterm Teppich. Händler und sein Ensemble, derzeit in Höchstform, wurden vom Premierenpublikum minutenlang gefeiert.

Ch. Hamann-Pönisch, Chemnitzer Morgenpost, 13.05.2002

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Nahe dem Abgrund bleibt nur der Schein

Torsten Händler stellt sein Ballett "Bernarda Albas Haus" am Chemnitzer Schauspielhaus vor und verlangt Solisten viel theatralisches Spiel ab.

Den Geist der atmosphärischen Verdichtung in einem Ballett zu beschwören ist leicht, neu eigentlich nicht. Menschliche Körper leben Ängste und Sehnsüchte in von emotionalen Abgründen als Motivation getriebenen Exzessen aus. Tanzen müssen sie dabei als seelenlose Charaktere weniger, innere Konflikte in vorwiegend introvertierte Bewegungen aus sich herausquälen umso mehr. Torsten Händler vertraut in seiner neuen Choreografie "Bernarda Albas Haus" dieser Maxime schonungslos und macht seine Protagonisten zu mimischen Darstellern in einer Geschichte, die die Vorlage von Federico García Lorca zu einer plakativen Gefühlsrevue degradiert. Für diese Dokumentation eines Dramas gab es bei der Premiere am Samstag im Chemnitzer Schauspielhaus reichlich Beifall.
Verdient haben ihn vor allem die Solisten. Für das, was man den Tänzerinnen und Tänzern in dieser Choreografie abverlangt, bedarf es weniger einer geschulten, ausgefeilten Technik, obwohl der moderne Ausdruckstanz bei Torsten Händler ohne akademische Aphorismen nicht auskommt und für ihn die betonten Körperlinien zwischen Armen und Beinen ebenso wie die Drehung a priori unverzichtbare Mittel für tänzerische Effekte sind.
Vielmehr müssen die Frauen und Männer in "Bernarda Albas Haus" viel Mut haben; aus sich herauszugehen und ohne Kompromisse die Gefühlsausbrüche zu pointieren. Pantomimisches Geschick reicht da nicht aus, die Kostüme (von Manja Rufledt) geben wegen ihrer undefinierbaren Zuordnungen wenig Halt.
Den fünf Töchtern der tyrannischen Mutter gelingt dies auf bewundernswert glaubwürdige Weise. Zwar dürfen Erin Kavanagh (Angustias, die älteste Tochter) und Doreen Windolf (Adela, die jüngste) ihre Phasen zwischen ekstatischer Ausgelassenheit und tiefer Verzweiflung beziehungsweise Tod reichlich theatralisch auskosten. Den drei verbleibenden Schwestern Magdalena (Diana Jansen), Amelia (Carolina Sorg) und Martirio (Annamaria Gombos) reichen allerdings Neid, Missgunst und Hass aus, um mit der gleichen Intensität in die Tragödie einzutauchen. Die Magd La Poncia will vermitteln, Sara de Gol füllt diese Rolle mit genau dem richtigen Pendeln zwischen Hörigkeit und Selbstbewusstsein aus.
Eckpole dieses Spannungsfeldes zwischen Konvention und Leidenschaft sind Männer. Für Marko Bullack reichen als Bemarda Alba eigentlich schon die erstarrte Grimasse und der stechende Schritt aus, um die Rolle der Mutter ohne Gefühle die nötige Direktheit zur verleihen, während David Scherzer als Pepe el Romano die snobistische Nonchalance bereits mit einer kleinen Geste auf den Punkt bringen kann.
Händler lässt in seiner Version von "Bernarda Albas Haus" keine Beziehungen zu, menschlich nicht, tänzerisch noch viel weniger. Jeder agiert für sich allein, vermeintliche Kontakte sind flüchtige Versuche einer Annäherung, eigentlich vielmehr die Ansätze zur Flucht vor Erniedrigung und Schmerz. Häufig steht dies im Gegensatz zur Musik. Denn die Toncollage mit spanischem Gitarrenflair und Geräuschsequenzen sowie Kompositionen von Albéniz, Amigo, de Falla, Granados oder Piazzolla und als Leitmotiv "La moza donosa" von Ginastra betont häufig mit rhythmischen Drive, harmonischer Dichte und melodischem Esprit eher das Moment der Leichtigkeit des Seins. Darum jedoch geht es Torsten Händler in seiner neuesten Schöpfung am allerwenigsten.

 

Reinhard Oldeweme, Freie Presse 13.05.2002


 

 

 

 

 

  Erstellt am 10.01.2007