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Heinrich von Kleist
  "Amphitryon"
 
Premiere am 07. Mai 2011
   
    Regie: Kay Neumann
    Ausstattung: Günter Hellweg


Jupiter hat alles: Erfolg, Ruhm, Frauen. Er hat den Olymp nicht nur erreicht - ihm gehört der Olymp. Aber eines hat er nicht: Nähe. Also geht der oberste der Götter zur Erde hinab, um als lebendiges Wesen und nicht als Gott Anerkennung zu finden: Er verbringt - allerdings in Gestalt des Feldherrn Amphitryon - eine Nacht mit dessen Frau Alkmene. Sehr zu ihrer Freude.

Nur einen Tag später kommt Amphitryon selbst nach Hause - nach langer Abwesenheit und heldenhaft gewonnener Schlacht kann er es kaum erwarten, die Nacht mit seiner Frau zu verbringen. Alkmenes Begrüßung gibt allerdings seiner Lust einen schweren Dämpfer, denn sie sagt nur: "Schon wieder???" So fangen Amphitryons Probleme an, die in der verzweifelten Frage gipfeln: Wer bin ich - und wenn ja, wie viele?

Ähnlich ergeht es Amphitryons Diener Sosias, der sich in den Straßen Thebens neuerdings immer öfter selbst begegnet ("Ich will nicht leben, Herr, belüg ich Euch / Dies Ich war früher angelangt, als ich") und der schließlich bereit ist zu akzeptieren, dass der andere Sosias vielleicht doch der echtere ist - und nicht er selbst. Was Sosias nicht weiß - der Götterbote Merkur ist es, den er jedes Mal trifft und der in Sosias' Gestalt die Abenteuer Jupiters sichern muss. Jupiter seinerseits leidet mehr und mehr an seiner Tarnung - war sie erst zu seiner Sicherheit gewählt, wird sie nun sein Fluch, denn wie soll er Alkmene klarmachen, dass ihre Begeisterung für eine gelungene Nacht nicht ihrem Mann Amphitryon zusteht, sondern ihm, dem Gott als Mensch ...

 
 

In Kleists "Amphitryon" steckt nicht nur die Menschenwelt in einer tiefen Krise - auch die Götterwelt ist sich nicht mehr ihrer selbst gewiss, vornweg ihr Übervater Jupiter. Die Suche nach dem Kern des Selbst, sie legt sich über das ganze Stück wie ein flirrender Dunst. Die zehrende Frage nach dem Wert der eigenen Persönlichkeit für andere - die Götter stellen sie ihrem Gegenüber genauso häufig wie die Menschen. Aber wie ist diese Selbstvergewisserung möglich, wenn man nicht mehr einmalig ist, wenn also niemand einem bestätigen kann, was man so dringend hören will?

Heinrich von Kleist wollte nur eine Komödie von Molière bearbeiten - und ihm gelang dabei ein eigenständiges Glanzstück: das Lustspiel einer Grenzerfahrung. Ein Werk, das wie nebenbei den Kern der Bedingungen und Bedrohungen der menschlichen Existenz seziert und dabei die deutsche Sprache mit geschliffenen Dialogen und brillanten Pointen auf eine neue Höhe brachte. Eine existentielle Komödie.

Text - Theater Chemnitz !!!

 
Die Premiere spielten:
Jupiter
-
Yves Hinrichs
Merkur
-
Michael Pempelforth
Amphitryon
-
Urs Rechn
Sosias
-
Tilo Krügel

Alkmene

-

Daniela Keckeis

Charis

-

Muriel Wenger

 

KRITIK:

Mit der Lust treibt man kein Spiel
Ein Lustspiel hat Kleist sein Stück "Amphitryon" genannt. In der Inszenierung von Kay Neumann am Chemnitzer Schauspielhaus aber ist es alles andere als eine Komödie: Das geht unter die Haut.

ChemnitzSchwarz, bedrohlich, beklemmend; von einer Sekunde zur nächsten ist es stockfinster, eine qualvolle Stille macht das Unheimliche bedrückend. Die Zuschauer warten, es muss ja bald etwas passieren, nervöses Räuspern ist zu hören, und dann endlich eine Stimme, der Schein eine kleinen Flamme auf der Bühne. Der Beginn des Schauspiels ist nicht wirklich eine Erlösung, keine Befreiung von der wachsenden Furcht; vielmehr eine Vorahnung: Achtung, das Lustspiel ist nicht wirklich eines, weil es um Menschen geht, die davor Angst haben, an sich selbst zu scheitern. Und wer darüber lachen möchte - bitte schön. Aber komisch ist das nicht.
Kay Neumann will genau das: Betroffenheit erzeugen mit der eigenen Unzulänglichkeit, mit der sich ein von Lust und Leid getriebener Mensch herumzuplagen hat. Denn eines macht der Regisseur klar: Das kann jedem passieren, vor einer solchen panisch machenden Orientierungslosigkeit ist man nie sicher. Soll heißen: "Amphitryon" in seiner Inszenierung ist ein ebenso zeitloses wie aktuelles Stück. Die Zuschauer waren begeistert und geizten nicht mit Befall.
Für diese eindringliche Wirkung gibt es vier Gründe: Zum einen verzichtet Neumann auf komödiantische Elemente, wenn sie nicht Teil der von Kleist erdachten Handlung sind. Manchem mag einem die Szenerie deswegen eher steif vorkommen, der Intention des Stücks aber wird das mehr als gerecht. Zum anderen lässt der Regisseur den Schauspielern viel Spielraum für emotionales Deklamieren der Verse, um die Authentizität des Textes zu erhöhen; die Darsteller lassen sich nicht zweimal bitten, und ihr engagiertes Spiel mach die eineinhalb Stunden zu einem kurzweiligen Erlebnis.
Der dritte Grund: das von Günter Hellweg gestaltete Bühnenbild. Dieser metergroße, sich ständig drehender Quader ist genauso ein Palast wie ein Gefängnis und nicht weniger ein Zufluchtsort wie eine Brutstätte für Größenwahnsinn. Flächig vernagelt auf der einen, frei einsehbar auf der anderen Seite präsentieren sich im Inneren die Leitern und Verstrebungen als ein Symbol für die Orientierungslosigkeit, mit der sich die Menschen, die darin leben müssen, herumzuschlagen haben.
Nicht zuletzt aber ist entscheidend: Auf der Bühne agieren echte Charaktere, keine Figuren; die Schauspieler füllen ihre Rollen aus, als wäre der Stoff nicht älter als 200 Jahre und würden Götter ihre Finger im Spiel haben, sondern als wäre dieses Suchen und Finden der Liebe ein modernes Psychogram. Daniela Keckeis in der Rolle der Alkmene überzeugt mit Gespür für das Wechselspiel der Gefühle, während Muriel Wenger als Charis kein Problem damit hat, in dem einen Moment naiv zu sein, im nächsten aufbrausend weiblich. Nicht weniger Spaß macht es, die Männer zu beobachten: Ives Hinrichs ist als Jupiter ein cool tänzelnder Typ; das gefällt ihm. Michael Pempelforth darf als Merkur ekelhaft speckig sein; ihm gefällt das nicht weniger. Urs Rechn in der Rolle des Amphitryon würde gern den Macho raushängen lassen, aber der weiche Softling gelingt ihm besser. Tilo Krügel als Sosias ist ein Getriebener; das darf er ausleben, mit jeder Geste, mit jedem Wort.

Reinhard Oldeweme, Freie Presse, 09.05.2011

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Fast himmlisch: "Amphitryon" am Chemnitzer Schauspiel
Gott, Gatte oder Göttergatte?

CHEMNITZ - "Göttergatte" - der Begriff erscheint nach Heinrich von Kleists Lustspiel "Amphitryon" aus dem Jahre 1807 In einem völlig neuen Licht: Gottvater Jupiter, der "große Donnerer", klettert mal kurz vom Olymp zu den Menschen herab, um auf die Feldherren-Strohwitwe Alkmene zu steigen. Natürlich sicherheitshalber in Kostüm und Maske des richtigen Gatten Amphitryon.
Wem gebührt nun der Ruhm für diese aus weiblicher Sicht Offenbar göttliche Nacht - dem potenten Gott oder dem begriffsstutzigen Gatten? Kay Neumann versucht sich in Chemnitz an einer Antwort in einer Inszenierung, die fast himmlisch wäre, wenn er ihr noch bisschen mehr Leben eingehaucht hätte.
Erst mal gut, zu erfahren - Götter sind auch nur Menschen: Jupiter (Yves Hinrichs) ist ein eitler Schlaks mit Schlips, bei dem man keine Versicherung abschließen sollte. Merkur (Michael Pempelforth) - ein mit Golfschläger bewaffneter Schnösel. Die Menschen sehen aus, wie sie aussehen: urig im schweren Militärmantel (Urs Rechn als Amphitryon), blond im engen Schwarzen (Daniela Keckeis als Alkmene), uniformiert mit Barett (Tilo Krügel als Diener Sosias) oder herzig im Geblümten (Muriel Wenger als Sosias Frau Chans).
Vor so was wie einem großen Welt-Mond-Ball dreht sich ein moderner mehrgeschossiger Hauskasten - dabei spült er auch immer neue Paarungen in dieser vertrackten Verwechslungsgeschichte an den Bühnenrand (Ausstattung quadratisch, praktisch, gut Günter Hellweg).
Bin ich immer und überall noch ich oder ein ganz anderer?, das ist die Frage aller Fragen. "Die Welt ist ein Dudelsack", meint dazu der völlig konfuse Sosias. Und hat mit seiner Gattin die vergnüglichsten Ehe-Szenen des Abends: Frau Charis spreizt sich lustvoll vor ihm auf, weil sie ihn für einen Gott mit wer-weiß-was für tollen Talenten im Bett hält. Dabei will er nur Bratwurst mit Kohl und weiterhin ihr alter Esel sein.
Der Abend lebt von Komödianten à la carte (besonders gut drauf: Pempelforth, Krügel, Wenger, Rechn), hat aber leider auch paar Längen durch lebloses Ins-Publikum-Deklamieren. Immerhin ein schönes Schlussbild: vorn verwirrte Menschlein, dahinter lässige Götterschattenbilder vor blass-weißer Erd- und Himmelsscheibe und ein beinahe kämpferisches "Ach!" von Alkmene. Man darf dann daheim schon mal genauer hinschauen, wer neben einem liegt: gar ein Gott, nur ein Gatte oder sogar ein Göttergatte. Irdisch herzhafter Beifall für die Premiere am Sonnabend im Schauspielhaus.

Ch. Hamann-Pönisch, Chemnitzer Morgenpost, 09.05.2011

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Weder Lust noch Spiel
Das Schauspiel Chemnitz zeigt einen enttäuschenden "Amphitryon" zum 200.Todestag von Kleist.

Ein Lustspiel. So steht es im Programmheft. Doch weder Lust noch Spiel beleben die Inszenierung Heinrich von Kleists "Amphytrion" am Schauspiel Chemnitz. Viel zu episch versucht Regisseur Kay Neuman den Identitätskrisen beizukommen, dem Gefühlschaos, der existenziellen Not.
Da steigt Jupiter in Gestalt des Feldherren Amphitryon vom Himmel und verbringt mit dessen Frau eine intensive Nacht. Von göttlichem Sex aber scheint das Abenteuer weit entfernt. Jedenfalls stehen die beiden am Morgen danach vorm Haus und können ohne Mühe die Finger voneinander lassen. Stattdessen sprechen sie Verse, mal dem anderen ins Gesicht, mal ins Publikum. Später, als der echte Amphitryon heimkehrt und vergebens auf ein vor Sehnsucht ausgezehrtes Weib hofft, da stehen sie wieder da und sprechen, sprechen, sprechen - zwar innerlich erregt und auch verwirrt, doch gänzlich ohne die Anmutung zweier Liebender.

Seltener Zündstoff
Ein bisschen mehr Charme steckt zum Glück in der anderen Verwechslungsgeschichte. Denn um das Tête-a-tête von Jupiter perfekt zu machen, wird er von Merkur begleitet, der den Sosias mimt, den Diener Amphitryons. Nur hat dessen Frau Charis nicht ganz so viel Genuss an der Doppelgängerschaft wie Alkmene. Und das liefert letztlich dann doch mal Zündstoff für leidenschaftliche Momente.
Allen voran ist es Michael Pempelforth als Merkur, der sich so gewitzt an den Eitelkeiten der Menschen austobt, dass doch zuweilen Spaß aufkommt. Und auch Muriel Wenger als Charis gelingt es, zwei Seelen in der Brust so gnadenlos offenzulegen, dass endlich Leichtigkeit auf der Bühne ist. Genauso Tilo Krügel, dem der Diener Sosias zwar manchmal zu komödiantisch gerät, aber dafür auch voller Esprit.
Ansonsten aber bleibt nicht viel von der enormen Sinnlichkeit und nuancierten Psychologie in Kleists Versen. Die dynamische Spannung zwischen Ideal und Wirklichkeit geht beinahe ganz verloren. Statt- dessen ist vieles nur Behauptung, selbst die Verwechslungsgefahr zwischen Amphitryon und Jupiter oder Merkur und Sosias. Sie sehen sich nicht ähnlich. Na gut. Aber Kay Neumann entwickelt aus dieser Entscheidung keine neuen Fragen und keine neuen Herausforderungen.

Freundlicher Applaus
Oder anders gesagt: Das Beste ist das Bühnenbild von Günter Hellweg. Ein moderner Wohnwürfel aus Stahl und Glas und Holz dreht sich auf der Bühne: als irdisches Heim, als Empore für die Götter, als Versteck, als Torbogen, als facettenreicher Ort mit allerhand Spielebenen, die leider ungenutzt bleiben. Der Premierenapplaus war dennoch freundlich.

Jenny Zichner, Sächsische Zeitung, 10.05.2011

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Amphitryon im Schauspielhaus
Schein und Sein
Regisseur Kay Neumann und seine Schauspieler leisten Großartiges. Die Chemnitzer Fassung von Kleists "Amphitryon" ist überaus sehenswert.

Ein neues Liebesabenteuer suchend, hat es Jupiter auf Alkmene, die Frau des thebanischen Feldherrn Amphitryon, der sich wieder einmal auf dem Kriegspfad befindet, abgesehen. Flugs nimmt der Gott die Gestalt des Offiziers an und verbringt eine Nacht mit dessen Weib. Als Amphitryon tags darauf zurückkehrt, ergeben sich zahlreiche Verwicklungen, in die auch die Dienerschaft des Paares einbezogen wird. Alkmene, von den beiden Männern vor die Wahl gestellt, entscheidet sich für den nächtlichen Liebhaber, was freilich nur bedeutet, dass sie den wahren Amphitryon in bedingungsloser Liebe, die bekanntlich blind macht, vergöttert. Jupiter befindet sich auf verlorenem Posten und verspricht dem Gehörnten einen Sohn - den Helden Herkules.

Kay Neumann, nach Sartres "Schmutzigen Händen" und Kesselrings "Arsen und Spitzenhäubchen" in Chemnitz nun erstmals mit einem Klassiker befasst, erweist sich erneut als ein den unterschiedlichsten Anforderungen gerecht werdender Regisseur. Und obgleich er das Lustspiel in der bewusst kargen Ausstattung Günter Hellwegs (ein nach Belieben drehbares Gerüst deutet vor dem Hintergrund eines Weltenrunds den Palast Amphitryons an) im Hier und Heute ansiedelt, vergeht er sich an keiner Stelle wider den Geist des Stückes, arbeitet mit bewundernswerter Sorgfalt dessen Konflikte heraus.

Das Großartige der Aufführung besteht darin, wie Neumann Kleists wahrlich nicht einfache Vorgabe behandelt, sich ohne Abstriche in den Dienst der Sprache eines Dichters stellt. Da wird über nichts hinweggeschludert, sich nirgends in billige Mätzchen geflüchtet. Sinnentleerte Aktionen sind für den Regisseur tabu. Und die Darsteller danken es ihm.

So berührt Daniela Keckeis als sinnlich erwachte, die tragischen Facetten der Figur berücksichtigende Alkmene (einige Nervositäten beim Umgang mit dem Text waren gewiss der Tagesform geschuldet). Ihr ebenbürtig Urs Rechns Titelheld, klug die Balance zwischen echter Komik und glaubwürdiger Verzweiflung wahrend. Auf der Dienerebene überzeugten Muriel Wenger (Charis) und der treffliche Tilo Krü-gel (Sosias) mit nie in Richtung Komödienstadl abgleitenden Leistungen. Als hinterfotziger Merkur stand Michael Pempelforth seinen Mann. Lediglich Yves Hinrichs blieb dem Jupiter (noch) einiges an göttlicher Ausstrahlung schuldig. Mit dem nach 1945 in Chemnitz sträflich vernachlässigten Stück bietet das Schauspiel einen überaus sehenswerten Beitrag zum aktuellen Kleist-Jahr.

Joachim Weise, Blitz!, 15.06.2011


 

 

 

 

 

  Erstellt am 18.06.2011