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Richard Alfieri
  "Sechs Tanzstunden in sechs Wochen"
 
Premiere am 12. Oktober 2013
     
 
Regie: Herbert Olschok
    Ausstattung: Ulrich Schreiber / Esther Kemter
     
    Eine Übernahme vom Gerhart Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau



© Dieter Wuschanski

Die 72-jährige Lily Harrison bestellt sich über die Agentur "Sechs Tanzstunden in sechs Wochen" einen privaten Tanzlehrer direkt in ihr Wohnzimmer - Tanzlehrer frei Haus sozusagen. Vor ihrer Tür steht Michael, ein temperamentvoller Italiener und alles andere als ein gefälliger Dienstleister. Michael ist ehemaliger Revuetänzer aus New York und schwul. Lily ist pensionierte Lehrerin und Witwe eines konservativen Baptistenpredigers aus dem Süden der USA. Damit prallen zwei Welten aufeinander, wie sie unterschiedlicher nicht sein könnten und die beidseitig von Vorurteilen und Ressentiments geprägt sind. Doch zwischen Swing, Tango, Wiener Walzer, Foxtrott, Cha-Cha-Cha und Modern Dance kommen sich Michael und Lily langsam näher und die harten Schalen, die sich beide im Laufe ihres Lebens zugelegt haben, fangen an, weicher zu werden.

Richard Alfieris Kammerspiel, das 2001 in Kalifornien uraufgeführt wurde und dessen Verfilmung Universal Pictures vorbereitet, ist eine bitterkomische Geschichte voller versteckter Weisheit. In leichtfüßigen, schnellen Dialogen erzählt sie vom Beginn einer wunderbaren Freundschaft zwischen zwei komplizierten Charakteren. Immer wieder prallen die ungleichen Temperamente aufeinander und entladen sich pointenreich in scharfzüngigen Auseinandersetzungen.

Das Stück feierte 2012 am Gerhart Hauptmann-Theater Görlitz-Zittau seine Premiere und war dort - mit großem Erfolg - zwei Spielzeiten im Repertoire.

Text und Foto - Theater Chemnitz !!!

Die Premiere spielten:
Lily Harrison
-
Christine Gabsch
Michael Minnetti
-
Marko Bullack
 

KRITIK:

Walzer, so appetitlich wie ein Strudel
"Sechs Tanzstunden in sechs Wochen" ist ein großer Premierenerfolg

"Sechs Tanzstunden in sechs Wochen", jüngste Premiere im Chemnitzer Schauspielhaus, ist ein Werk, das es dem Publikum leicht macht, es zu mögen. Entsprechend begeistert war die Zustimmung am Sonnabend. Denn die Zutaten zu diesem Boulevardstück von Richard Alfieri für zwei Personen sind massentauglich wie ein öffentlich-rechtliches Samstag-Abend-Fernsehen: Es schreckt vor Banalitäten nicht zurück, ist pointenreich und hat das Potenzial für Komödie und Tragödie gleichermaßen.

Krach mit Ansage

Minetti ist ein schwuler Tanzlehrer, der als schriller Vogel alle Register zu ziehen versteht. Der vom versauten Slang bis zum edlen Gemüt den Habitus eines Revuetänzers vom Broadway auf sich vereint. Lily dagegen ist eine alte Dame, die die Lebensweisheit im erzkonservativen Baptistenmilieu für sich gepachtet hat. Beide vorurteilsbehaftete Typen treffen aufeinander: Die einsame Witwe will tanzen, dafür macht sie sich außerordentlich fein. Er braucht Geld und hat null Bock darauf, den "Eintänzer in den Himmel" zu geben.

Da kann es nur krachen, bösartig, scharfzüngig, voller Unterstellungen schenken sich die beiden nichts und werden dabei beste Freude. Beide trennen gut 30 Lebensjahre, ihre Annäherung gerät zur Entdeckungsreise in fremde Welten. Allerdings mit stark vorhersehbaren Einsichten über die heitere Jugend, die Mühsal des Alters, über die Liebe, über Heteros und Schwule, über Einsamkeit und Krankheit. Und wenn Lily am Ende in seinen Armen tanzend stirbt, ist zwar die Schwelle zum Kitschigen weit überschritten, aber die Tränen im Publikum sind echt. Und die Szene ist so bilderbuch-schön wie aus der Traumfabrik Hollywood.

Federleicht und vollendet

Christine Gabsch kann das. Den Neuzugang am Schauspielhaus nach 40 Jahren am Gerhart-Hauptmann-Theater Zittau wird man für ihre zarte, fast mädchenhafte Lily in Chemnitz lieben: Ihre stilvolle, noble Heldin mit Wahrheitsdrang und vornehmer Schnauze entlädt unter harter Schale eine vom Leben und vom Alter gezeichnete, todsterbenskranke Frau. "Appetitlich wie ein Strudel" knödelt Minetti alias Marko Bullack mit Blick auf ihr wunderschönes Wiener-Walzer-Kleid. Beide, Gabsch und Bullack, zaubern das Stück federleicht auf die Bühne. Bullack ist dabei die Überraschung des Abends. Der einstige Balletttänzer ist ein begnadeter, sportiver Pantomime, der auf der Klaviatur körperlicher Ausdrucksfähigkeit vollendet spielt.

Die Tanzstunden für Swing, Tango, Wiener Walzer, Foxtrott, Cha-Cha-Cha und Modern Dance dienen Regisseur Herbert Olschok als Folie für die Entwicklung seiner Charaktere von eindimensionalen Zeitgenossen zu mitfühlenden Wesen voller Erkenntnis. Trotz mancher Banalität, die das Stück aufweist, lotet er tief in den Gefühlen. Olschok war von 1994 bis 2000 selbst Schauspielchef in Chemnitz, er hat das Stück bereits in Zittau inszeniert und die Einrichtung für die Chemnitzer Bühne geleitet. Begeistern werden seine wunderschönen Szenen in Lilys elegantem Salon (Bühne von Ulrich Schreiber). Und getanzt wird hinreißend authentisch und emotional aufreizend.

Marianne Schultz, Freie Presse, 14.10.2013

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Listig, lustig, gut und Cha-Cha-Cha
Die pensionierte Lehrerin Lily Harrison und der ehemalige Revuetänzer Michael Minetti haben mindestens zwei Eigenschaften gemeinsam: Sie sind listig und lustig. Weil sie sich, drittens, gut sind.

Doch so etwas muss man erst mal merken. Lily und Michael haben dafür "Sechs Tanzstunden in sechs Wochen" plus Bonusabschiedsstündlein gebraucht. Mehr Zeit hat ihnen zumindest Richard Alfieri in seinem Kammerspiel, das am Sonnabend im Chemnitzer Schauspielhaus Premiere feierte, nicht gelassen.

Regisseur Herbert Olschok hält sich geradezu liebevoll daran und lässt die menschenscheu gewordene Baptistenwitwe und ihren viel jüngeren, männerliebenden Tanzlehrer in seiner heiter-tröstlichen Inszenierung nicht eine Minute verplempern. Bei reichlich einem halben Dutzend Ohrwürmern -Tango, Swing, Cha-Cha-Cha, Foxtrott, Wiener Walzer und Modern Dance - lernt jeder das Leben des anderen mit seinen Verletzungen, Schuld- und Sühnegefühlen kennen - und sein eigenes mehr lieben. Ein bisschen Kitsch muss sein, das regelt Ulrich Schreiber dezent in seinem sonnenseitigen Bühnenbild.

"Ich lache nicht", sagt die Harrison ganz am Anfang. Von paar gekünstelten Hihi-Anwandlungen abgesehen, hält sie das auch bis zum Schluss durch. Doch am Ende geschieht etwas Merkwürdiges: Es ist, als ob die immer so grandios beherrschte und nun sterbenskranke Frau den vielleicht schönsten sechs Wochen ihres Lebens heiter und erlöst hinterherlacht oder wenigstens lächelt.

Die Lacher des Publikums (gut möglich wären auch paar heimliche Tränen) haben beide (bis zuletzt per Sie) auf ihrer Seite. Marko Bullack tanzt, plappert, trällert, vibriert förmlich, als wäre dieser Michael Minetti die Rolle seines Lebens. Kein derber Scherz und Blick ins Dekolleté ohne Herz. Christine Gabsch lässt Lily Harrison neben ihrem Italiener (mit "Jesus und Fred Astaire" im Blut) parlieren, parieren, murren, schmollen und Tänzchen hinlegen, dass es eine Freude ist. Nach diesem Abend könnte auf Chemnitzer Tanzlehrer Arbeit zukommen. Viel, viel Applaus.

Ch. Hamann-Pönisch, Chemnitzer Morgenpost, 14.10.2013

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Auftakt nach Maß

... Mit einem ganz anderen, eher dem Boulevard zuzurechnenden Stück kehrte Herbert Olschok in die Stadt seines früheren, unvergesslichen Wirkens als Schauspieldirektor zurück, um hier die bereits in Zittau erarbeitete Inszenierung von Richard Alfieris Kammerspiel "Sechs Tanzstunden in sechs Wochen" mit den bereits damals beteiligten Schauspielern Christine Gabsch (eine wahre Bereicherung des Ensembles im Fach der "großen alten Dame") und Marko Bullack aufzufrischen. Lilly Harrison, über siebzigjährige Witwe eines verknöcherten Baptistenpredigers, der die eigene Tochter in den Tod trieb, hat sich über eine Agentur einen Tanzlehrer ins Haus bestellt, um ihrer Einsamkeit zu entgehen. Es erscheint Michael Minetti, ein wesentlich jüngerer, temperamentvoll flapsiger und schwuler Italiener, der als ehemaliger Revuetänzer in New York die besseren Zeiten hinter sich hat. Kein Wunder demnach, wenn sich zwischen ihm und der von Florida, dem "Breitengrad der Bibelfesten" und Tummelplatz reaktionärer Republikaner, geformten Frau zunächst Welten auftun. Wie nun diese vollkommen unterschiedlichen Charaktere, nicht zuletzt mit Hilfe des von beiden perfekt in Szene gesetzten Tanzes (allein der körperlich virtuose Einsatz der Darsteller lohnt den Besuch der Aufführung) zueinander finden, wie es der Autor versteht, mit Witz und teils derbem, aber nie auf pures Schenkelklopfen zielenden Humor die gegenseitigen Missverständnisse ins rechte Bild zu setzen, wie es ihm auf berührende Weise gelingt, allmählich die Schranken gegenseitigen Voreingenommenseins abzubauen, spricht für Alfieris Liebe zu den Menschen, seien sie auch noch so unvollkommen.

Herbert Olschok, von Bühnenbild und Kostümen (Ulrich Schreiber, Esther Kemter) bestens assistiert, war der rechte Mann für dieses Stück, das er an keiner Stelle in Richtung eines billigen Schwanks verbog, aber andererseits nicht der Versuchung erlag, das Finale mit dem Tod Lillys und der stillen Verzweiflung Michaels gefühlsselig zu überzuckern. Indem er mit dem Herzen inszenierte, sprach er die Herzen des Publikums an. Dieser Inszenierung und den beiden überragenden Darstellern galt der lang anhaltende Beifall eines dankbaren und begeisterten Publikums.

Dem Chemnitzer Schauspiel gelang ein Auftakt nach Maß, zu dem man es nur beglückwünschen kann.

Joachim Weise, Blitz!, 15.11.2013

 


 

 

  Erstellt am 20.06.2015