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Die Lehre des Lebens
   


Eine Erzählung über die erlebten schweren Jahre des 2. Weltkrieges,
die anschließende Gefangenschaft im fernen Sibirien
und die gewonnenen Erkenntnisse für das weitere Leben
von

Günther Lange.

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ERSTER TEIL

Es ist ein kalter und trüber Novembertag. Am Fenster seiner Wohnung in Karl-Marx-Stadt steht ein großer und hagerer Mann und sieht den vorbeiziehenden Nebelschwaden zu. Oft gehen die Gedanken des fast 7Oigjährigen auf sein bewegtes Leben zurück. Die schweren Jahre des 2. Weltkrieges, die opferreichen Folgejahre und der Neubeginn bewegen seine Gedanken. Er greift zu Papier und Feder und schreibt die Erlebnisse des schwersten Abschnittes seines Lebens nieder. Wollen wir seinen Erzählungen folgen und das Erlebte nachempfinden.

Der Erzähler mit Vornamen Günther verlebte eine sorglose Jugend. Auf dem Gutshof seiner Eltern lernte er wie seine 2 Schwestern die Sorge um das tägliche Brot nicht kennen. Er hat die Möglichkeit, die Oberschule zu besuchen und entschließt sich, wie sein Vater den Beruf eines Landwirtes zu ergreifen.

Auf dem Rittergut Gödelitz wird er während der 2-jährigen Lehrzeit auf eine harte Bewährungsprobe gestellt. Bereits morgens 3.30 Uhr beginnt im Pferdestall die tägliche Arbeit und endet abends erst nach 20.00 Uhr. Nach über 12 Stunden harter körperlicher Arbeit fällt es ihm schwer, nach dem Abendbrot die notwendigen schriftlichen Arbeiten, wie Lohnbuchführung, das Führen des Betriebstagebuches usw., zu erledigen. So manches mal ist der 19-jährige der Verzweiflung nahe, denn auch an den Sonntagen gibt es für die 4 Lehrlinge keine Ruhe. Arbeiten auf dem Feld und in den Ställen lassen keine Freizeit aufkommen.

Wenige Wochen nach Beendigung seiner landwirtschaftlichen Lehre wird er zum Arbeitsdienst nach Coburg im Frankenland verpflichtet.

Im Frühjahr 1938 muß er den Rock des Soldaten anziehen. Hier beginnt der Abschnitt seines Lebens, der ihn immer wieder beschäftigt. Die vielen Widersprüche, die sich seinem Denken und Fühlen entgegenstellen, formen seinen Charakter und seine Einstellung zum Leben.

Zum 24. Artillerieregiment in Altenburg wird er zunächst für 1 Jahr (einjährige Wehrpflicht) eingezogen. Die Militarisierung und Aufrüstung Deutschlands laufen bereits auf Hochtouren. Der erste größte Höhepunkt des Soldatenlebens ist die feierliche Vereidigung. Auf dem Exerzierplatz haben in einem großen Viereck etwa 300 neue Rekruten des Regimentes Aufstellung genommen. Der Regimentskommandeur spricht in seiner Ansprache von den großen Zielen Hitlers für Volk und Vaterland und ruft alle Soldaten auf, jeden Befehl gewissenhaft zu erfüllen. Dann tritt der Regimentspfarrer an das Rednerpult. Er segnet die 2 aufgestellten Geschütze und spricht ein Gebet, in dem der Allmächtige gebeten wird, Hitler Kraft und Schutz für sein großes Werk zu geben. Der Schwur von 6 jungen Soldaten mit der Hand an der Regimentsfahne beendet die Vereidigung. Bereits auf dem Rückmarsch zur Kaserne beschäftigt sich Günther mit den Worten des Regimentspfarrers. Er segnet Geschütze, aus denen vielleicht einmal Granaten fliegen. Wie ist das mit der Religion in Einklang zu bringen? Eine Antwort kann er auf diese Frage nicht finden.

Seine Vorgesetzten, Unteroffiziere, Obergefreite und Gefreite, sind bereits in diesem Geist erzogen. Besonders wenn sie erkennen, daß Rekruten dem Vorgesetzten geistig überlegen sind, macht es ihnen Spaß, den Untergebenen zu schikanieren.

Ein typisches Beispiel ist der Obergefreite Berndt. Er ist unmittelbarer Ausbilder von Günther. Der Obergefreite kann seinen Namen nicht schreiben, aber beim Exerzieren fühlt er sich stark und überlegen. Wenn sich nach heftigem Regen auf dem Exerzierplatz ein Wassertümpel an den anderen reiht, dann ist es für ihn ein wahres Vergnügen, das Hinlegen und Vorwärtsrobben mit den Rekruten zu üben. Bereits nach einer Viertelstunde Ausbildung sind die Rekruten von oben bis unten mit Dreck und Schlamm überzogen. Wenn auf dem Rückweg zur Unterkunft aus vollen Kehlen das Lied angestimmt werden muß: ,,Es ist so schön Soldat zu sein!", dann laufen bei den Rekruten die Nerven auf Hochtouren. Ist die Unterkunft erreicht, gibt dann der Ausbilder bekannt, daß in 10 Minuten Appell in Ausgehuniform stattfindet. Nach dem Kommando ,,Alles wegtreten" stürzen die 30 Rekruten die Treppe zu ihren Zimmern hinauf, denn 10 Minuten ist eine sehr kurze Zeit. Sie waschen den gröbsten Dreck von Händen Gesicht und Knien, ziehen in Eile die Ausgangsuniform über und stopfen die verdreckte Exerzierbekleidung in ihren Spind. Noch nicht fertig, ertönt bereits der Pfiff zum Heraustreten. So mancher Knopf ist noch nicht eingeknöpft, so stürzen die 30 Rekruten wieder die Treppe hinab. Es wir in Reih und Glied Aufstellung genommen und dann erfolgt die Meldung: "30 Rekruten der Abteilung zum Appell in Ausgangsuniform angetreten!". Der Wachtmeister geht die Reihen entlang und betrachtet jeden Einzelnen. Bei fast der Hälfte der angetretenen Rekruten wird die Kleidung beanstandet und sie erhalten als Strafe Sonderwachen, Reinigungsdienste und Ausgehverbot. Doch dann kommt das Schlimmste. Der Wachtmeister gibt bekannt, daß nach dem Wegtreten stubenweise Schrankappell stattfindet. Jeder hatte in der Eile alles kreuz und quer in den Schrank hineingestopft. Mit Kopfschütteln und innerer Erregung steht jeder an seinem Spind und muß sich beim öffnen der Schranktür von seinem Vorgesetzten die unmöglichsten Bezeichnungen wie Schwein, Drecksau usw. über sich ergehen lassen. Für fast alle sind in den nächsten Wochen Ausgang und Freizeit dahin.

Das Artillerieregiment in Altenburg ist pferdebespannt. Die größte Zeit des Tages wird im Pferdestall verbracht. Pferdeputzen, Füttern, Stallreinigen und Reitausbildung bestimmen den hauptsächlichen Dienst. Als Sohn eines Landwirtes und auf dem Dorf aufgewachsen, macht das Reiten Günther trotz der harten Ausbildung einigermaßen Spaß. Vom ersten Tag an sitzt er fest im Sattel. Die anderen 28 Rekruten seiner Abteilung haben es bei der Reitausbildung viel schwerer. Oft rutschen sie vom Pferd und fallen in den etwa 20 Zentimeter hohen Torfmull oder Sand der Reitbahn. Es gehört schon viel Mut dazu, immer wieder auf Befehl das Pferd zu besteigen.

Ist ein Rekrut während des Dienstes, bei Appellen oder Arbeiten im Stall aufgefallen, dann muß er in den Abend- und Nachtstunden verrostete Kandaren (Metallgebisse der Pferde) reinigen. Oft bis nach Mitternacht putzen und polieren Rekruten allabendlich im Pferdestall die zu reinigenden Kandaren. Erst wird mit Sandpapier der Rost von den geschwungenen Metallteilen entfernt und dann ist jede Kandare mit Polierkette auf Hochglanz zu bringen. Beim Morgenappell werden die jeweiligen Soldate0n aufgerufen, die zu putzenden Kandaren vorzuzeigen. Je nach Laune des Vorgesetzten werden diese abgenommen, oder zur nochmaligen Reinigung mit beleidigenden Bemerkungen zurückgegeben. Die abgenommenen Kandaren wandern in einen danebenstehenden Eimer mit Wasser. Hier bleiben sie ein bis zwei Wochen liegen, bis sie wieder total verrostet sind. Dann beginnt der Kreislauf von neuem.

Die Erziehung zum Kadavergehorsam, das ist das Grundprinzip der einjährigen Dienstzeit. Denken und Fühlen darf es bei den jungen Soldaten nicht mehr geben, damit sie willenlos jeden Befehl ausführen.

Es eilt die Zeit dahin. Nach Übung auf dem Truppenübungsplatz Zossen bei Berlin wird im August 1939 das Regiment an die polnische Grenze verlegt. In einem kleinen Dorf nördlich von Kreuzburg in Schlesien wird die Abteilung des Artillerieregimentes untergebracht. Unter großen Baumgruppen und kleinen Waldstücken am Rande des Dorfes sind Fahrzeuge und Pferde untergestellt und die Soldaten schlafen in der Nähe der Pferde in Zelten. Ein großes Manöver soll demnächst stattfinden und so haben die einzelnen Truppenteile ihre Ausgangspositionen einzunehmen. Inzwischen läuft in der Heimat die Hetze gegen das polnische und russische Volk auf Hochtouren. An den Litfaßsäulen sind große Plakate zu sehen, die nicht ohne moralische Wirkung bleiben. Auf den Plakaten sind Horden von Jugendlichen zu erkennen, die mit brutalem Gesichtsausdruck und einem Messer im Mund durch das Land ziehen. Darunter ist folgendes zu lesen: "Raubend und mordend zieht die Jugend Rußlands durch das Land! Willst auch Du solch eine Zukunft für Deine Kinder? Drum Kampf dem Bolschewismus !".

Am 1. September l939, morgens gegen 2.30 Uhr wird Alarm ausgelöst. Es ertönt der Befehl: ,,Alles satteln und schirren, in einer halben Stunde ist Abmarschbereitschaft zu melden.". Noch schlaftrunken stürzen die Soldaten durch die noch finstere Nacht. Sie satteln die Pferde, bespannen die Fahrzeuge und Geschütze und verpacken alle Ausrüstungen. Gegen 3.00 Uhr beginnt der Abmarsch in Richtung Nordost.

Etwa Kilometer vor der polnischen Grenze werden in einer kleinen Talsenke die Geschütze in Stellung gebracht und alle Befehlsstellen mit Fernsprech- und Funkanlagen verbunden. Gegen 4.00 Uhr beginnen Feuerwerk gleich hunderte von Geschützen das Feuer auf polnische Stellungen. Im Morgengrauen des 1. Septembers 1939 ziehen hunderte von Flugzeugen am Himmel in Richtung Osten. Inzwischen verbreitet der Rundfunk folgende Meldung:

,,In den gestrigen Abendstunden haben polnische Soldaten den deutschen Sender Gleiwitz gestürmt. Als Vergeltung haben heute morgen 4.00 Uhr deutsche Truppen die polnische Grenze überschritten." Erst nach Ende des 2. Weltkrieges wurden die wahren Zusammenhänge bekannt. Um einen Grund für den Überfall auf Polen zu schaffen, haben sich die deutschen Faschisten etwas abscheuliches ausgedacht. Angeblich zu Filmaufnahmen müssen 50 KZ-Häftlinge polnische Uniformen anziehen und mit dem Gewehr in der Hand den Sender Gleiwitz erstürmen. Von MG-Salven durchbohrt brechen die Häftlinge im Blute zusammen.

Der 2. Weltkrieg nimmt so seinen tragischen Anfang.

 
 

 

  Erstellt am 19.02.2007